Jeder sieht die Facebook- Welt, wie sie ihm gefällt

Kürzlich hat ein Artikel über das neue Buch „Alone Together – Why We Expect More from Technology and Less from Each Other“ („Verloren unter 100 Freunden„) die Gemüter erregt. In dem Werk von Sherry Turkle geht es darum, dass die wachsende Vernetzung der Gesellschaft (z.B. auch via Facebook“) zu mehr Einsamkeit führt. Das bringt sofort zwei Seiten auf den Plan: Die einen, die sagen, dass das stimmt und sie es schon immer gewusst hätten, und die anderen, die meinen, dass das nicht stimmt, weil z.B. Facebook dafür gesorgt hätte, dass sie sich mit mehr Menschen treffen.

Problem Personalisierung
Jetzt kann man entweder mitstreiten und Studien zusammensuchen, die Turkles Behauptung be- bzw. widerlegen – oder sich einmal grundsätzliche Gedanken machen. Denn das wirklich Interessante am „Phänomen Facebook“ ist die hochgradige Personalisierung, die dort stattfindet. Der Newsfeed jedes Nutzers ist anders und wird durch das bestimmt, was seine Freunde posten und seinen eigenen Interessen entspricht (z.B. Facebook-Fanseiten, Werbung). Jeder sieht bei Facebook also vorrangig das, was den eigenen Überzeugungen, Einstellungen, Meinungen, etc. entspricht. Anstatt in die weite Welt hinauszusurfen, schwimmt man in der eigenen Suppe im Kreis. Das passiert übrigens auch bei Google, wo die Suchergebnisse immer stärker personalisiert werden – etwa mit der absurden Folge, dass ich zu einem Suchwort zuerst Links zu Artikeln bekomme, die ich selber auf Google+ gepostet habe.

Ich habe dieses grundlegende Phänomen in meinem Buch im Kapitel „Mit Scheuklappen durchs Web“ beschrieben, der US-Aktivist Eli Pariser hat dem Sachverhalt ein ganzes Buch, „The Filter Bubble„, gewidmet. Wie man seine Umwelt durch Facebook wahrnimmt, beschreibt Facebook-Gründer Mark Zuckerberg  so:

„A squirrel dying in front of your house may be more relevant to your interests right now than people dying in Africa.“

Wer suchet, der findet (sich selbst)
Auch Sherry Turkle dürfte aus diesem Teufelskreis nicht ausbrechen können. Als Soziologin hat sie eben vorrangig mit Problemfällen zu tun, die sie etwa in diesem Interview schildert, und das prägt ihre Wahrnehmung. Auch viele andere sind von diesem Phänomen nicht ausgeschlossen: Wer gerne Katzenfotos mag, bekommt diese von seinen Bekannten geliefert, die ebenfalls Katzen mögen, und schon glauben sie, dass das ganze Internet voller Katzenfotos ist. Wer sich politisch engagiert, wird sicher eine Facebook-Gruppe dazu finden, und schon glaubt er, ganz Facebook für seine Sache gewinnen zu können. Und ein Gamer wird bei Facebook auf Hunderte interessante Spiele stoßen, ganz seinem Interesse entsprechend, aber die Katzenfotos und Einladungen zu Demos werden eher an ihm vorübergehen.

Das ist natürlich kein neues Phänomen – Menschen wenden sich seit Jahrtausenden jenen Inhalten zu, die sie interessieren und den eigenen Überzeugungen entsprechen. In der Forschung spricht man vom Hallraum, im Alltag vom Tellerrand und Sturm im Wasserglas. Personalisierte Online-Inhalte (gut fürs Geschäft) werden dieses Phänomen in Zukunft aber weiter verstärken. Facebook selbst wollte die Entwicklung mit einer eigenen Studie widerlegen und schaffte es nicht.

Derweil schreitet die technische Personalisierung unserer Umwelt weiter voran. Die Internet-Brille, die uns per Augmented Reality passende Inhalte (z.B. die Position unserer Facebook-Freunde) auf die Innenseite der Gläser projiziert, ist bereits technisch machbar und in wenigen Jahren Realität – nichts anderes als Scheuklappen auf hohem technischen Niveau.

P.S.: Dieser Blog-Eintrag ist mit höchster Wahrscheinlichkeit ebenfalls ein Resultat der Filter-Blase, in der der Autor sitzt.

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