Timeline: Die Chroniken von Neu-Facebook

Timeline Screenshot

Obwohl ich eigentlich den Ausbau des Open Graph Protocol (mehr dazu demnächst) als die dramatischere Neuerung von Facebook nach der Konferenz „f8″ ansehe, werden sich die Nutzer wohl zuerst intensiver mit der neuen Timeline auseinandersetzen (müssen). Die „Timeline“ ersetzt künftig das persönliche Profil (nein, man hat keine Wahl) und soll so etwas wie die ultimative Homepage für Facebook-Nutzer werden. Im deutschsprachigen Raum wird man die Timeline wohl Chronik nennen, und das ist sie auch. In optisch ansprechender Form (Facebook hat dafür extra die beiden Entwickler Nicholas Felton und Sam Lessing angestellt) wird die gesamte Facebook-Aktivität seit dem ersten Login chronologisch dargestellt – ganz oben das neueste, ganz unten der älteste Facebook-Eintrag. Mit einem Trick habe ich mir meine Timeline bereits freigeschaltet, generell soll sie jeder Facebook-Nutzer in den kommenden Wochen und Monaten bekommen.

Homepage-Ersatz: Eines ist fix – die Facebook-Entwickler Sam Lessin und Nicholas Felton haben ganze Arbeit geleistet. Die Timeline a.k.a. Chronik sieht sehr hübsch aus – es gibt somit nur mehr wenige Gründe, warum man einen eigenen Weblog gestalten sollte, wenn man die Timeline gratis haben kann. Im Vergleich zu den chaotischen MySpace-Profilen ist Facebooks Timeline jedenfalls eine Augenweide. Andere Nutzer gelangen über die persönliche URL zu ihr (meine lautet etwa www.facebook.com/jakobsteinschaden) und können dort quasi durch ein Facebook-Leben nach unten scrollen. Ganz oben kann man mit einem Titelbild („Cover“) den Look personalisieren, der Rest ist bereits mit den vergangenen Status-Meldungen, Fotos, Gefällt-mir-Angaben etc. gefüllt. Außerdem kann man mit einem Klick auf ein kleines Stern-Symbol einem Foto, einem Status-Update, einem Video etc. mehr Platz einräumen und so optisch hervorheben. Mit der Jahresleiste rechts oben kann man zu den entsprechenden Zeiten nach unten hüpfen – alles in allem hervorragend arrangiert und schön designt. der neue Konkurrent Google+ (mein Test hier) ist somit schwer gefordert, dem etwas entgegenzusetzen.

Wirre Privatsphäre: Komplizierter wird es mit den Einstellungen – denn wer darf jetzt die Timeline sehen und wer nicht, bzw. wer darf welche Inhalte sehen? Prinzipiell ist die eigene Timeline für „Alle“ auffindbar – also jeden der etwa zwei Milliarden Menschen auf dem Planeten, die Internet haben. Je nachdem, für wen man früher Inhalte auf Facebook sichtbar gemacht hat, sind sie künftig auch in der Timeline veröffentlicht. Weil die Chronik aber übersichtlicher ist, werden viele Nutzer ihre Timeline durchgehen und bestimmte Inhalte aus dieser entfernen wollen. Facebook hat dazu vor kurzem eine neue Funktion in den Privatsphäre-Einstellungen namens „Beschränke das Publikum für ältere Beiträge“ eingeführt. Allerdings sollte man aufpassen: Hat man die generelle Einstellung „Freunde“ gewhält, werden alle Inhalte, die für mehr als 4 Facebook-Freunde sichtbar sind, für alle Facebook-Freunde sichtbar – das kann zu Problemen führen, weil dann plötzlich „Freunde“ Zugriff auf Daten haben, die man ihnen früher nicht zeigen wollte. Wer in die eigene Timeline posten darf, ist auch nicht sehr gut geregelt – entweder erlaubt man es allen Freunden, oder nur sich selbst – insofern ist wieder die alte Geschichte, wen man als Freund annimmt, ausschlaggebend. Auch die Einstellungen der „Markierungen“ sollte man nachjustieren, ansonsten poppen Fotos, in denen man von anderen getaggt wurde, plötzlich prominent oben im Profil auf.

Timeline2 screenshot

Viele Daten auf einen Blick: Weil sich Mark Zuckerberg mehr Transparenz auf der Welt wünscht (andere sprechen vom „gläsernen Menschen“) sind neben Fotos, Freundesliste, Likes und einer Karte mit Ortsangaben künftig auch Interessen und Medienkonsum der Person auf einen Blick abrufbar. Denn in der oberen Leiste sollen Nutzer künftig „Social Apps“ einblenden können, die verraten, welche Musik man gehört hat, welche Filme man angeschaut hat oder welche Artikel man gelesen hat. Das hilft Facebook einerseits, das Empfehlungs-Marketing („XY hat sich den Song XY angehört“) voranzutreiben und gleichzeitig die Werbe-Einblendungen besser personalisieren zu können. Damit will Facebook der traditionellen Internet-Suche und insbesondere dem Erzrivalen Google das Wasser weiter abgraben.

Datenkrake 2.0: Die Mehrheit der Facebook-Mitglieder (ca. 500 Mio.) sind erst seit September 2009, also seit zwei Jahren bei Facebook. Damit sind die Timelines nach unten hin sehr leer. Die Facebook-Lösung: Man kann im Nachhinein sehr leicht Daten eintragen – etwa, wann man welchen Job hatte, wann man den Führerschein gemacht hat, wann man krank war und wann man operiert wurde – mit diesen standardisierten Formularen zum Ausfüllen wird Facebook naturgemäß auf wenig Gegenliebe bei Datenschützern stoßen. Facebook spricht damit ganz bewusst jene Nutzer an, die in den USA bereits als Self-Tracker bezeichnet werden – also Menschen, die sämtliche Tätigkeiten, Erlebnisse und Fakten digital erfassen wollen. Ein eigenes neues „Aktivitätenprofil“ zeigt chronologisch verkehrt, welche Aktionen man bei Facebook seit dem ersten Login gesetzt hat. Hier wird wieder einmal deutlich, welche Unmenge an Informationen – manche nichtig, manche wichtig – über den Nutzer gesammelt wurden. Ich habe unheimlich viele Aktionen wieder entdeckt, an die ich mich gar nicht erinnern konnte.

Entfreundungen sehen: Weil man mit Timeline in der Zeit zurückgehen kann, verrät Facebook jetzt auch, welche anderen Mitglieder einen schon entfreundet haben. Sie werden in der jeweiligen Liste mit einem „Add friend“ angezeigt. Da man bisher nicht aktiv über eine Entfreundung informiert wurde, könnte diese neue Transparenz einige zwischenmenschliche Krisen auslösen.

Fazit: Design-technisch hat Facebook mit der Timeline ganze Arbeit geleistet, optisch machen die neuen Profile viel her. Da der Mensch und vor allem der Facebook-Nutzer ein Gewohnheitstier ist, werden viele Nutzer die neue Optik hassen. Unter der Oberfläche tut Facebook aber noch intensiver dass, was es immer schon am besten konnte: Den Nutzern möglichst viele Daten aus der Nase ziehen, um möglichst viele Werbegelder scheffeln zu können. 2011 wird man damit voraussichtlich über personalisierte Werbung auf der Webseite mehr als vier Mrd. US-Dollar Umsatz machen.

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