PlayStation 4 und Xbox One: Besser warten mit dem Kauf, die alte Konsole reicht auch

Sonys PS4, im Hintergrund “Assassin´s Creed IV” © Jakob Steinschaden

Sonys PS4, im Hintergrund “Assassin´s Creed IV” © Jakob Steinschaden

Über die Feiertage hatte ich Gelegenheit, eine Spielkonsole der neuen Generation auszuprobieren. Die PlayStation 4, ein durchaus schick designter, schwarzer Kasten um 400 Euro, tritt derzeit gegen den etwas klobigeren und 100 Euro teureren Rivalen von Microsoft, die Xbox One, an. Und natürlich ist die PS4 schön zu spielen: Im Vergleich zu meiner einige Jahre alten Xbox 360 ist sie natürlich schneller und leiser, hat kürzere Ladezeiten und bietet einen etwas angenehmeren Controller und eine bessere Grafik. Doch was mir eindeutig gefehlt hat: der Wow-Effekt.

Leider nicht um Welten besser
Von einer Konsole, die sieben Jahre nach ihrem Vorgänger auf den Markt kommt, hätte ich mir doch mehr “Wow” erwartet. Womit sich für mich die Frage erledigt hat, ob ich mir im nächsten halben Jahr eine der neuen Konsolen kaufen soll. Nein, werde ich nicht. Das Problem liegt dabei nicht an der sicher starken Hardware – auch wenn Sony etwa schon auf die neue Auflösung 4K setzen hätte können -, sondern beim Content, also den Games. Sowohl PlayStation 4 als auch Xbox One kommen mit einer eher dürftigen Zahl an exklusiven Titeln daher, die eine Anschaffung notwendig machen.

Bei der PlayStation 4 gibt es derzeit eine enttäuschende Reihe an Exklusiv-Spielen, aus der einzig “Killzone” heraussticht, und bei der Xbox One sieht es hinsichtlich “System Seller” (u.a. Forza, Ryse) ebenfalls düster aus. Dem gegenüber stehen aktuelle und künftige Knaller wie “Assassin´s Creed IV: Black Flag”, “GTA V”, “Watchdogs” oder “Destiny”, die allesamt auch auf den alten Konsolen PS3 und Xbox360 zu haben sind bzw. zu haben sein werden. Sicher bieten die Versionen für die Next-Generation-Konsolen eine bessere Grafik – aber ist die auch 400 bzw. 500 Euro wert?

Laut Tony Key, Senior VP für Sales und Marketing bei Ubisoft, konzentrieren sich die Publisher aus wirtschaftlichen Gründen im Moment noch eher auf die Vorgängermodelle. Die Rechnung ist einfach: Sony prognostiziert bis März 2014 etwa 5 Millionen verkaufte PS4-Konsolen, ein ungleich größerer Markt aber sind die über 80 Millionen PS3, die weltweit den Haushalten stehen.

Während man Sonys PS4 als solide Spielkonsole ohne großen Überraschungen einreihen kann, versucht Microsoft seine Xbox One als Multimedia-Zentrale fürs Wohnzimmer zu positionieren. So soll man damit nicht nur zocken, sondern via Skype Videotelefonate führen, das TV-Signal durch die Konsole schleifen oder Musik- und Video-Streaming damit abrufen. Doch zum Skypen oder Musikhören den Fernseher und eine Spielkonsole aufdrehen zu müssen, wirkt auf mich in Zeiten von Smartphones und Tablets eher absurd. Und die Receiver von UPC oder A1, über die die Internet/TV-Anbieter uns ihre Video-on-Demand-Angebote verkaufen wollen, kann die Xbox One schon gar nicht ersetzen. Wer also schon eine Spielkonsole der letzten Generation besitzt, der knn sich mit einem Upgrade gedulden. Exklusiv-Blockbuster wie “Halo 5” (Xbox One) “Uncharted” (PS 4) werden von der Fachpresse erst in frühestens einem halben Jahr erwartet, und bis dahin kann noch viel passieren. Zum einen könnten Xbox One und PS4 günstiger werden bzw. in attraktiven Bundles angeboten werden (z.B. mit 2 Controllern, mehreren Spielen), und zum anderen bleibt abzuwarten, was Apple, Google und Samsung vorhaben. Der iPhone-Hersteller ist dank App Store stark bei Spielen und wird schon seit Jahren verdächtigt, einen Smart-TV bauen zu wollen. Und auch Samsung dringt immer weiter in den Bereich “Home Entertainment” vor und dürfte sich nicht nur einmal überlegt haben, auch Games auf seine Internet-Fernseher zu bringen.

Ran Gavrieli: Der Mann, der aufhörte, sich Online-Pornografie anzusehen

Ran Gavrieli_Ran Gavrieli

In Zeiten, in denen vierzehn Prozent aller Web-Suchen Sex betreffen, vier Prozent aller Webseiten Pornografie zum Inhalt haben und man generell das Gefühl hat, im Netz ständig von Erotik umgeben zu sein, ist der Isreali Ran Gavrieli eine Ausnahmeerscheinung. Denn er hat in einem viel beachteten TEDx-Talk erklärt, warum er aufgehört hat, sich im Internet Pornos anzusehen. Im E-Mail-Interview erklärt er, welche Folgen seine Entscheidung für sein eigenes Sexleben hatte, was sich an der Sexualerziehung der Jugendlichen ändern muss und wie gute Pornografie seiner Meinung nach aussieht.

  • Ran Gavrieli studiert Gender Studies in Israel und arbeitet außerdem mit Erwachsenen und Jugendlichen in Sachen Sex-Aufklärung
  • Porno-Videos beeinflussen laut Gavrieli die Mainstream-Kultur und unsere Wahrnehmung der Geschlechterrollen stark
  • Die Webseite MakeLoveNotPorn.tv will ebenfalls das Problem der Darstellung von Sex in herkömmlichen Porno-Videos in den Griff kriegen

„Das hat Wunder bewirkt“
“Ich habe aufgehört, mir Pornografie im Internet anzusehen, weil ich es einerseits süchtig macht und andererseits eine Verschiebung der von Sinnlichkeit hin zu Aggression passiert”, so Gavrieli in einem E-Mail zu mir. “Pornos haben auf verschiedene Art Einfluss auf mein Leben, aber hauptsächlich haben sie die Masturbationsgewohnheiten von natürlicher sexueller Erregung hin zu einer von Langweile getriebenen Aktivität verändert, die immer extremere Bilder benötigte, um zu funktionieren.” Das regelmäßige Betrachten von Sex-Clips hätte zum einen “Zorn und Gewalt” in seine Sexfantasien gebracht, und zum anderen wolle er nicht länger als Konsument die Nachfrage nach “gefilmter Prostitution” steigern. Der Effekt: “Das hat Wunder für mich bewirkt. Ich habe wieder nach und nach begonnen, Fantasien über echte Frauen und echte erotische Kommunikation zu haben.”

Dass Gavrieli diesen außergewöhnlichen Schritt gemacht hat, hat aber auch viel mit seinem Studium und seiner Arbeit zu tun. Er hat an der Universität in Tel Aviv Gender Studies studiert und arbeitet derzeit an seinem PhD an der israelischen Bar-Ilan-Universität zum Thema.

Mehr Sex-Unterricht gefordert
Nebenbei arbeitet Gavrieli im dem kleinen Land im Nahen Osten mit Jugendlichen und Erwachsenen zusammen, um ihnen dabei zu helfen, ein positives Selbstbild in einer einer Welt zu geben, die, wie er sagt, “von sexuellen Bildern mit negativer Konnotation überschwemmt ist”. Und bei dieser Arbeit sei ihm etwas aufgefallen: “Pornos verändern unsere Wahrnehmung von Geschlechterrollen hin zu einem Modell der Unterordnung, einseitiger Freude, Macht und Gewaltherrschaft. Es ist ein großer Rückschritt für die Fortschritte der Frau in der modernen Welt”, sagt er in Bezug auf die Rollenverteilung von Männern und Frauen in einschlägigen Videos – und diese Rollenverteilung würden die Menschen lernen.


“Die Mainstream-Kultur ist von Pornografie stark beeinflusst und wird draus zum Teil sogar konstruiert. Sex wird nicht länger mit Romantik verbunden. Die ungeschriebenen Gesetze der Coolness junger Menschen heute gebietet ihnen, Porno-Sex ohne menschliche Bindung nachzuahmen”, so Gavrieli. Deswegen müsse die Sex-Erziehung an Schulen dringend ausgebaut werden. “Sex-Erziehung braucht ein Update und muss wieder relevanter werden. In den meisten Schulen werden pro Woche vier bis sechs Stunden Englisch, Mathematik, usw. pro Woche unterrichtet, aber sie bekommen nur sechs Stunden pro Jahr für eines der wichtigsten Dinge im Leben – das muss sich ändern.”

„Gute“ Pornografie?
Was Gavrieli natürlich nicht will: die komplette Abschaffung sämtlicher Pornografie im Netz. Schließlich gäbe es auch eine positive Form von Pornos. “Gute Sex-Filme haben einen künstlerischen Anspruch und beuten niemanden aus. Der Film “Shortbus” zum Beispiel war bahnbrechend und brillant, weil er uns Sex gezeigt hat, indem er die Menschen und den emotionalen Kontext gezeigt hat. Es ist ein qualitativer Film, bei dem Menschen trotzdem vollen sexuellen Kontakt haben.”

Gavrieli ist aber nicht der einzige, der etwas gegen den Einfluss von Online-Pornografie unternehmen möchte. Die britische Unternehmerin Cindy Gallop etwa hat mit der Webseite MakeLoveNotPorn.tv einen Online-Marktplatz für authentische, ehrliche Sex-Videos geschaffen. Hier können Privatleute ihre selbstgedrehten Clips hochladen und werden an den Einnahmen der Plattform beteiligt. Das schmeckt aber nicht allen, auch Gavrieli nicht. “Wenn MakeLoveNotPorn.tv eine Webseite für Exhibitionisten wäre, die ihr Privatleben einfach zum Spaß teilen, dann würde es etwas wert sein. Aber so weit ich weiß, ermutigt MLNP die Leute, es für Geld zu tun, wovon sie 50 Prozent nehmen. Das ist doch Zuhälterei!”

MakeLoveNotPorn.tv-Initiatorin Gallop hat Gavrieli übrigens bereits geantwortet:

„No, to Ran Gavrieli’s comment, http://makelovenotporn.com/ is not ‘pimping’. Firstly, I think it’s important your readers understand where MakeLoveNotPorn came from and why I started this venture. MLNP is not porn, not ‘amateur’, but #realworldsex. I designed MLNP.tv around my belief that the business model of the future is Shared Values + Shared Action = Shared Profit (financial and social profit). We are part of the collaborative economy, in the same way as other ventures like Airbnb and Uber. I had to design MLNP.tv to be a self-sustaining business, because I knew no one would fund us – Silicon Valley welcomes innovation and disruption in every other area of our lives except this one, the one that needs it most. This is the battle I and my team fight to build this business every day.”

Pro-Privacy-Allianz: WikiLeaks und Cypherpunks rufen zum Klassenkampf

 WikiLeaks-Gründer Julian Assange, © Jakob Steinschaden


WikiLeaks-Gründer Julian Assange, © Jakob Steinschaden

“System-Administratoren aller Länder, vereinigt euch!” So lautet die große Botschaft, die WikiLeaks-Gründer Julian Assange und sein enger Vertrauter Jacob Appelbaum, der den Anonymisierungs-Dienst TOR mitentwickelt und gemeinsam mit dem “Spiegel” brisante NSA-Dokumente aus dem Snowden-Fundus veröffentlicht, unter den tausenden Hackern auf der Konferenz 30C3 verbreiten wollten. Strukturen bilden, Gewerkschaften gründen, das CIA infiltrieren – so wollen Assange und Appelbaum einen neuen Klassenkampf beginnen, der da heißt: die Internet-Arbeiter der Welt gegen eine nicht klar definierte Machtelite, hinter der man aber die US-Regierung, Großbritannien, die NSA, usw. vermuten kann.

Leben in der Info-Apartheid
So wie sich während der Industriellen Revolution die Arbeiter gegen die Besitzenden formiert hätten, bräuchte es jetzt eben einen Aufstand der Whistleblower, Hacker, Techniker. Der WikiLeaks-Gründer, unfreiwillig komisch über eine dauernd abbrechende Skype-Leitung nach Hamburg “verbunden”, spricht von einer “Informations-Apartheid”, in der der Öffentlichkeit wichtige Daten vorenthalten werden und stattdessen auf den Servern der Informationselite weggesperrt werden. Systemadministratoren, wie es etwa die beiden bekannten Whistleblower Edward Snowden und Chelsea Manning gewesen seien, hätten heute unheimlich viel Macht – diese sollten sie auch nutzen und heikle Informationen aus den Tiefen der Unternehmen und Institutionen, für die sie arbeiten, ans Tageslicht befördern.

imageSnowden-Kontaktmann Jacob Appelbaum, © Jakob Steinschaden

Moment mal: Klassenkampf? Gewerkschaften?? Vereinigt euch??? Das Kommunistische Manifest von Marx und Engels, aus dem der berühmte Satz “Proletarier aller Länder, vereinigt euch” stammt, lässt schön grüßen – der Bezug darauf wirkt 165 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung mindestens ungewöhnlich. Doch Marx ist für die beiden Cypherpunks Assange und Appelbaum, die die Verschlüsselung von privaten Daten als einzigen Schutz vor der Macht des Überwachungsstaates sehen, ein wichtiger Bezugspunkt.

Den Gegner infiltireren
Wie mir Appelbaum im Gespräch nach der eher unglücklichen Assange-Schaltung erklärte, würden Internet-Arbeiter, die heute oft nur mehr via Computer und Internet mit ihrem Arbeitgeber verbunden sind, ein grundlegendes Problem haben: Sie seien nicht organisiert, hätten keine Gewerkschaften und wären damit im Nachteil gegen die großen Unternehmen. “Die Occupy-Bewegung ist gescheitert, weil die Bewegung keinen Kern und keine Struktur hatte”, sagte Assange zuvor. “Wir sind letzte freie Generation”, und Vertreter dieser Generation würden es sein, die Institutionen wie die CIA infiltrieren müssten.
imageWikiLeaks-Anwältin Sarah Harrison, © Jakob Steinschaden

Dass sich Assange und Appelbaum, aber auch Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald als Freiheitskämpfer im Untergrund gegen einen übermächtigen Staatsapparat sehen und “Pro-Privacy-Allianzen” schmieden, resultiert stark aus ihren eigenen Lebensumständen. Für Appelbaum, der neue Star der Hacker-Szene, gibt es so etwas wie eine Demokratie gar nicht, er spricht von totalitären Überwachungsstaaten, in denen wir heute leben. Für den US-Bürger, der derzeit in Deutschland weilt und von Berlin aus NSA-Informationen veröffentlicht, ist die Bundesrepublik derzeit das geringste Übel; in den USA wäre er vielleicht schon verhaftet worden.

Angst vor USA und Großbritannien
Auch die WikiLeaks-Anwältin Sarah Harrison hat Angst, in ihre Heimat Großbritannien zurückzukehren und wähnt sich vorerst in Berlin sicher. Sie wurde am 30C3 mit Standing Ovations bedacht, weil sie Edward Snowden bei seiner Flucht von Hongkong nach Russland zur Seite stand und bis vor kurzem bei ihm war. Assange wiederum sitzt seit August 2012 in der ecuadorianischen Botschaft in London fest und wird dort für 11.000 Euro pro Tag von der Polizei überwacht. Snowden ist zeitweilig in Russland untergekommen, Greenwald traut sich aus Furcht vor den USA und Großbritannien nicht mehr Brasilien zu verlassen. “Es findet ein Krieg gegen Whistleblower statt“, sagt etwa auch Annie Machon, eine ehemalige Mitarbeiterin des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5, die die Überwachung durch den Staat nach ihrem Austritt aus der Organisation am eigenen Leib erfahren musste.

imageEx-MI5-Mitarbeiterin Annie Machon, © Jakob Steinschaden

Wie weit die Whistleblower, Cypherpunks und Hacker ihren Klassenkampf treiben können, ist zunächst völlig unklar. Dass solche Ideen bei einem Event wie dem 30C3 beklatscht werden, ist keine Überraschung – hier predigen Assange und Co. zu den bereits Bekehrten. Schwer werden sie es haben, ihre Gesellschaftstheorie, die sie sich gerade zusammenbasteln, auch der Außenwelt klarzumachen, ohne als radikale Spinner abgestempelt zu werden. Und so wirkt der Cypherpunk-Klassenkampf vorerst einfach nur weltfremd, denn wenn Assange die Vernetzung der Internet-Arbeiter predigt und dabei nicht einmal der Skype-Videoanruf ohne technische Probleme klappt, dann scheint der Sieg über die Daten-Elite noch ganz weit weg.

Glenn Greenwald: Enthüllungsjournalist wird zum Netzaktivisten und Cypherpunk

Glenn Greenwald_Jakob Steinschaden

„Die NSA und die Five Eyes (USA, Kanada, GB, Australien und Neuseeland, Anm.) wollen Privatsphäre auf der ganzen Welt abschaffen.“ Für Glenn Greenwald gibt es kein “Wenn” und “Aber”, die USA und ihre weltweiten Überwachungsprogramme würden nur ein Ziel kennen: absolute Macht. Als Hauptredner des 30. Chaos Communications Congress, kurz 30C3, der derzeit in Hamburg stattfindet, redete sich der Enthüllungsjournalist in Rage. NSA, US-Regierung, die Medien in Großbritannien und den USA – das sind für den Schreiber, der die Storys über Prism, Tempora und Co. veröffentlichte, die großen Feinde der Freiheit.

  • Glenn Greenwald ist federführend an den Veröffentlichungen über die Überwachungsprogramme beteiligt und engster Vertrauter von Whistleblower Edward Snowden.
  • Greenwald will mit einem von eBay-Gründer Pierre Omidyar finanzierten neuen Medium namens First Look Media maximale Freiheit für künftige Veröffentlichungen erreichen.
  • Greenwald sieht sich nicht nur als Journalist, sondern mittlerweile auch als Mitglied einer “Pro-Privacy-Allianz” und nähert sich den Ideen der Cypherpunks an.

Hoffnungen, dass die Regierungen die Überwachungsprogramme wieder zurückfahren, hat der Snowden-Vertraute keine. “Die USA wird die Überwachung nicht freiwillig einschränken”, er erwarte sich nur symbolische Gesten und Lügen. Egal, welche Gerüchte und Zugeständnisse auch zu hören seien, “die US-Regierung will Snowden ein Leben lang hinter Gitter bringen.“ Wer Greenwald zuhört, der hört nicht nur einem Journalisten, sondern auch einem Aktivisten zu. Dass er noch „viele weitere Storys“ über die Überwacher veröffentlichen wolle, wurde zur vielbeklatschten Kampfansage.

Vom Enthüller zum Gejagten
Denn wie WikiLeaks-Gründer Julian Assange, Whistleblowerin Chelsea Manning oder Snowden ist Greenwald selbst zum Gejagten geworden. Die tausenden Seher seiner 30C3-Rede konnte er nicht live vor Ort, sondern nur via Skype-Video aus Rio de Janeiro zu Standing Ovations bewegen – denn seine Anwälte raten ihm mittlerweile, sein Heimatland Brasilien nicht zu verlassen, weil er sonst an Grenzübergängen von Behörden abgefangen werden könnte.

Der Bildschirm wackelte, der Ton brach: Tausende Kilometer entfernt redete sich Greenwald am Computer in Rage und wetterte neben NSA und Großbritannien auch gegen andere Staaten wie Brasilien, Frankreich der Deutschland. “Das Erstaunliche ist, dass es so viele Staaten gibt, die die Macht hätten, etwas zu tun, aber trotzdem nur zusehen”, sagte er in Bezug auf die große Zurückhaltung dieser Länder, auch nur ein Asyl für Snowden in Betracht zu ziehen. Selbst, wenn die NSA in ihre eigene Privatsphäre eindringe, würden führende Politiker nichts machen, meinte Greenwald in Anspielung an Kanzlerin Merkel.

Handeln statt nur beobachten
Weil er selbst offenbar nicht länger nur zusehen, sondern für die Privatsphäre kämpfen will, sieht sich Greenwald bereits als Teil einer immer größer werdenden Pro-Privacy-Allianz. “Es gibt ein schnell wachsendes Netzwerk von Menschen, die ihre Energie, Ressourcen und Zeit in die Sache stecken”, sagte er. Er lobte neben Snowden (“er zeigt, wie ein Einzelner die Welt zum Guten ändern kann”) auch WikiLeaks` Julian Assange (“ein Pionier”), die zu 35 Jahren Haft verurteilte Chelsea Manning (“mit ihrer Aufopferung ein Vorbild für Snowden”) sowie seinem eigenen großen Vorbild Daniel Ellsberg, der die geheimen Pentagon-Papiere veröffentlichte, seine journalistische Partnerin Laura Poitras. Diese brachte Snowden in Kontakt mit Greenwald, “ohne sie wäre das alles nicht passiert”.

Poitras ist es auch, mit der Greenwald sein eigenes Medium, First Look Media, aus der Taufe heben will. Financier ist der eBay-Gründer Pierre Omidyar, und der Plan ist, dass die nicht gewinnorientierte journalistische Arbeit durch eine Techniksparte querfinanziert werden soll. Um welche Technik es sich handelt, die da verkauft werden soll, ist noch nicht bekannt.

Die Ideen der Cypherpunks
Das Vertrauen, dass die außer Kontrolle geratene Massenüberwachung durch Druck der Politik oder der Öffentlichkeit wieder in den Griff zu bekommen sei, scheint Greenwald verloren zu haben. “Die größte Hoffnung liegt in den Privatsphäre-Technologien”, sagte Greenwald und appellierte an die Hacker des 30C3, ihr Können doch bitte in den Dienst der Privatsphäre und nicht der Gehemindienste zu stellen. Bei First Look Media würde man die stärksten verfügbaren Verschlüsselungstechnologien zur Kommunikation einsetzen. Die seien heute zwar noch nicht perfekt, aber ernstzunehmende Hürden für die NSA-Überwachung.

“Ich habe in den letzten sechs Monaten erst gelernt, wie wichtig Verschlüsselung ist”, sagte Greenwald, der vor sechs Monaten noch keine Ahnung von Kryptografie gehabt hat. E-Mail-Verschlüsselung via PGP fand er “nervend und zu schwierig”, und Snowden lachte ihn aus, weil er Truecrypt verwendete. “Ich bin kein Hacker.”

Radikale Transparenz mit Abstrichen
Doch die Arbeit mit Snowden hätten ihn für den Rest seines Lebens verändert. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass Greenwalds Argumentation immer mehr jener der Cypherpunks, zu denen auch Julian Assange und TOR-Entwickler Jacob Appelbaum zählen, gleicht: Das Individuum hat keine Privatsphäre mehr, während sich der Staat selbst zum Geheimnis, und dieses Missverhältnis müsse umgedreht werden. Bis dahin sehen Cypherpunks Verschlüsselung privater Kommunikation als einzige Möglichkeit, sich vor der Macht des Staates zu schützen.

Zwar sagt Greenwald, dass man die Informationen, die man von Snowden habe, vorher filtere (keine Infos, die anderen Staaten die Möglichkeit geben, ihre Überwachung zu verbessern, keine Infos über Kommunikationen von Individuen, keine Leben gefährden), aber er hält auch fest: “Ich glaube an radikale Transparenz. Das Letzte, was wir machen würden, ist, auf einer Story zu sitzen und sie nicht mit der Welt zu teilen. Alles wird veröffentlicht werden.”

Anm.: Greenwalds Rede hat dann in Deutschland auch eine Debatte über den Journalismus und seine Aufgaben ausgelöst. Kernfrage: Darf ein Journalist gleichzeitig auch Aktivist mit einer Agenda sein? In diesem Storify gibt es die Twitter-Debatte zum Nachlesen:


30C3: 8 Dinge, die 8000 Nerds und Geeks auf einem Hacker-Kongress so treiben

30C3_Jakob Steinschaden

400 Teilnehmer waren es im bedeutungsschwangeren Gründungsjahr 1984, 8000 sind es 29 Jahre später: Zum 30. Chaos Communication Congress, kurz 30C3, kamen so viele an Technologie-Interessierte – vom Bastler über Hacker bis hin zu Netzpolitikern – wie noch nie zum derzeit in Hamburg stattfindenden Jahres-Event des Chaos Computer Club. Das Thema, das über der Veranstaltung hängt wie ein Damoklesschwert, ist natürlich die von Edward Snowden aufgedeckte NSA-Überwachung. Doch daneben gibt es auf dem 30C3 noch andere Dinge, mit denen sich eine Beschäftigung lohnt.

1. Den NSA-Skandal verarbeiten
Wurde im vergangenen Jahr, zum 29C3, noch die große Warnung vor der NSA-Überwachung ausgesprochen, so ist sie ein Jahr später Fakt. “Sprachlos” sind die Veranstalter ob der Snowden-Fakten, die die jahrelangen Warnungen des CCC unterstreichen – weswegen es heuer kein Motto für den 30C3 gibt. Dennoch gilt: Die Hacker-Gemeinde will den NSA-Skandal verarbeiten und einen Ausweg aus der Misere finden. Deswegen geht es um Technisches wie verbesserte Kryptografie als Schutzschild gegen die Geheimdienstspionage, um Hilfsmittel zur Sicherung der Anonymität im Internet, um Strategien gegen die Überwacher. Nein, um die NSA kommt man am 30C3 auf keinen Fall herum.

2. Szene-Größen lauschen
Am 30C3 stellt man sich nach den Snowden-Enthüllungen die große Frage: Wie umgehen mit dem wahr gewordenen Albtraum? Inspiration dazu können sich die Besucher bei den geladenen Sprechern holen, allen voran Keynote-Speaker Glenn Greenwald, der mit Snowden für den britischen Guardian eng zusammen arbeitete, um die Dokumente zu veröffentlichen. Szene-Star Jacob Appelbaum, der bei WikiLeaks tätig war, an der Anonymisierungs-Software TOR mitarbeitet und zu den Kontaktleuten von Snowden zählt, spricht zu verschiedenen Themen von NSA bis Anonymisierung, und auch die Videoschaltung zu WikiLeaks-Gründer Julian Assange, der immer noch in der ecuadorianischen Botschaft in London festsitzt, ist ein Publikumsmagnet. Weiters gibt Jan Philipp Albrecht, grüner EU-Parlamentierer, Auskunft über den Status Quo der stockenden EU-Datenschutzreform, und Künstler Trevor Paglen zeigt, wie er die Überwacher überwacht.

3. Ein Indoor-Festival mitveranstalten
Bei CCC-Veranstaltungen geht es nur maximal zur Hälfte um das, was auf den Bühnen gezeigt und geredet wird. Auf den Gängen des Hamburger Congress Center, seit 2012 Austragungsort des Hacker-Festivals, passiert ziemlich viel. Bastler und Computer-Freaks mieten sich große Tische in verschiedenen, wild getauften Bereichen (z.B. “Noisy Square”, “Starship Factory”, “Anarchist Village”), an denen vier Tage lang programmiert und gelötet wird, was das Gerät hergibt. Außerdem gibt es verschiedene Netzwerk-Treffen, bei denen Gleichgesinnte – “ich will irgendwas mit Social Networks machen” – zusammenfinden können. Insofern ähnelt der 30C3 einem Rock-Festival – dort fährt man auch nicht nur wegen den Bands auf der Bühne, sondern auch wegen dem Spaß am Camping-Platz hin.

4. Basteln und Tüfteln
Ohne sie wäre ein Chaos-Computer-Club-Treffen kein Chaos-Computer-Club-Treffen: Die Bastler und Tüftler. Vom selbstgebauten Quad-Copter über ferngesteuerte Club-Mate-Kisten bis hin zu bunt leuchtenden Plastikkübelwänden und anderen LED-Installationen kann man am 30C3 verschiedenste Basteleien bestaunen. Das neueste Lieblingsspielzeug der Geeks und Nerds ist aber die „Seidenstraße 2.0“: Dieses von der Künstler-Truppe Telekommunisten aus Plastikrohren und Industriestaubsauger gebautes Rohrpost-System wird augenzwinkernd als würdiger Nachfolger des Internet bezeichnet und kann auf zwei Kilometer Länge Kapseln durch das Hamburger Congress Center schicken – die Staubsauger saugen bzw. blasen die bis zu einem Kilo schweren Geschosse, die stilecht im 3D-Drucker gefertigt wurden, durchs ganze Gebäude.

5. Club Mate trinken
Anders als auch vielen anderen Kongressen geht es am 30C3 eigentlich erst gegen Abend so richtig los. Die Hauptredner sprechen am Abend, und das Programm inklusive “Hacker Jeopardy”, “Googlequiz” oder der Jahresrückblick des CCC dauert lange bis nach Mitternacht. Wer möglichst viele der 130 Vorträge sehen und zusätzlich etwas vom Rummel rundherum mitbekommen will, braucht also viel Koffein. Diesen munter haltenden Stoff führen sich die Hacker am liebsten in Form von Mate-Getränken zu, die nicht umsonst auch “Hacker-Brause” genannt werden. Im Vorjahr, am 29C3, wurden rund 11.000 Club-Mate-Flaschen konsumiert, und das dürfte heuer noch einmal getoppt werden.

6. Hacken
Ja, natürlich wird auf einem Hacker-Kongress auch gehackt. Auf der Bühne wird in der Theorie durchgegangen, wie etwa mobile Netzwerke, die Daten-Brille Google Glass oder Bankomaten geknackt werden, an den langen Tischen der angereisten Hacker-Gruppen versucht man sich an der Praxis. In bestimmten Bereichen des 30C3 – typischerweise dunkle Räume, in denen junge Männer in schwarzen Kapuzenpullis über ihre noch schwärzeren Notebooks gebeugt in Gruppen sitzen – ist Fotografieren strengstens verboten. Was genau da in grünen und weißen Zeichen über die dunklen Bildschirme flimmert, können nur Experten erahnen. Ziemlich sicher ist, dass über die 100-GBit-Leitung, an die sich der 30C3 gehängt hat, auch die eine oder andere Attacke auf Webseiten laufen dürfte. Auch die Besucher, die sich ins hauseigene WLAN-Netz einloggen, sind gewarnt: Die Veranstalter geben jährlich eine “How to Survive”-Liste heraus, in der auch ausführlich auf die Sicherung der eigenen mitgebrachten Computer eingegangen wird.

7. Schlösser knacken
Regelmäßig bei den Chaos Communication Congresses vertreten: der SSDeV, besser bekannt als die Sportsfreunde der Sperrtechnik. Der Verein übt sich Hobby-mäßig in der Kunst des Schlossöffnens und will daran auch die Hacker-Gemeinde teilhaben lassen. Interessierte können sich am SSDeV-Stand in die Geheimnisse der Sperrtechnik einweisen lassen und einmal im Trockenen probieren, wie sie eine Türe aufbekommen – etwa mit Dietrich oder mit Kreditkarte. Zum Diebstahl soll das Ganze natürlich nicht animieren, vielmehr verfolgt man “ausschließlich gemeinnützige Ziele durch die Pflege und Förderung des Amateursports und der Volksbildung zum Nutzen der Allgemeinheit”. Gebrauchen kann man das erworbene Wissen ja auch, wenn man sich einmal selber aussperrt und sich den Schlüsseldienst ersparen will.

8. Crypto-Party machen
Für Party im herkömmlichen Sinn gibt es am 30C3 genügend Gelegenheit – etwa bei Electro-DJ-Sound und mit Mate versetzten Cocktails, aber es gibt auch ein wenig ernstere Partys – Crypto-Partys. Bei den Zusammenkünften vermitteln Spezialisten Interessierten, wie sie sich im Internet bzw. ihre Computer verschlüsseln und so vor Fremdzugriff schützen können. Für Fortgeschrittene gibt es zudem Workshops, in denen man lernt, neue Knotenpunkte für das Anonymisierungs-Netzwerk TOR einzurichten.

Selfie: Welt.de, Stern.de u.a. zitieren mich zur „Demokratisierung des Selbstporträts“

Selfie_Screenshot

Bloggen zahlt sich aus: Vor einiger Zeit habe ich den ziemlich gut gelesenen Blog-Artikel “Selfies: Die gar nicht so narzisstischen Selbstporträts des Smartphone-Zeitalters“ geschrieben – und der hat offenbar auch Aufmerksamkeit bei der deutschen Nachrichten-Agentur dpa erregt. Und so kam es, dass vor kurzem das Telefon klingelte und eine dpa-Redakteurin mir ein paar Fragen zu dem Trend gestellt hat. Der Artikel schaffte es anschließend auf eine ganze Reihe großer deutscher Nachrichten-Seiten, inklusive folgendem Zitat:

„Selfies haben etwas Demokratisierendes“, findet der Internet-Experte Steinschaden. Früher habe man Selbstbildnisse für viel Geld in Auftrag geben müssen – heute kann sich jeder selbst ablichten.

Ein schönes Prä-Weihnachtsgeschenk! Hier die Liste:

Stern.de: “Das Selfie ist der Trend des Jahres 2013”

Focus Online, “Das Selfie ist der Trend des Jahres”

Yahoo.de: “Das Selfie ist der Trend des Jahres”

Welt.de: “Das Selfie ist der Trend des Jahres”

DerWesten.de: “Trend des Jahres: Selfie”

rp-online: “Trend des Jahres: Das Selbstporträt”

Bunte.de: “Das Selfie ist der Trend des Jahres”

Oberhessische Presse: “Ich und mein Selfie”

Hamburger Abendblatt: “Selfie: Der Trend des Jahres geht um die Welt”

Klatsch-Tratsch.de: “Selfie ist der Trend des Jahres 2013”

Aachener Nachrichten: “Nach dem Selfie kommt das Video aus der Ich-Perspektive”

Hannoversche Allgemeine: “Ich & mein Selfie”

Morgenweb.de: “Selfies – ein Trend geht um”

Aachener-Nachrichten.de: “Nach dem Selfie kommt das Video aus der Ich-Perspektive”

Wort.lu: “Megatrend Selfie: ich fotografiere mich selbst”

Radiohamburg.de: “Fotos von einem Selbst – Selfies regieren das Netz”

Google: Der Internet-Konzern wird mit Werbemilliarden zum Roboter-Schöpfer

WildDog_BostonMechaincs

Bei der Suche nach neuen Einnahmequellen ist der Internetkonzern Google fündig geworden: Robotik soll langfristig zu einem wichtigen Geschäftsfeld neben der Internet-Werbung ausgebaut werden. Der ehemalige Android-Chef Andy Rubin höchstpersönlich wurde mit der futuristischen Aufgabe betraut. Die Übernahme der Roboter-Firma Boston Mechanics zeigt, dass die selbst fahrenden Google-Autos da nur ein Vorgeschmack auf das sind, was Google in seinen geheimen Laboren entwickelt.

Neues Standbein neben der Werbung
Google ist eine Internet-Firma, die mit Werbung pro Quartal viele Milliarden Dollar Umsatz macht, richtig? Ja, darauf können sich wohl alle einigen. Zuletzt waren es mehr als 12,5 Milliarden Dollar
im dritten Geschäftsquartal 2013, das sind 84 Prozent des gesamten Umsatzes. Allerdings ist der “Cost per Click”, als das Geld, das Google im Schnitt pro angeklickter Anzeige bekommt, um acht Prozent gesunken und gibt einen negativen Ausblick auf die künftigen Werbeumsätze. Dementsprechend interessant ist es zu beobachten, wie Google immer mehr Produkte auf den Markt wirft, die nicht mit Reklame Geld machen. Smartphones von Motorola, Bezahl-Dienste wie “Play Music All Access” oder “Drive”, kostenpflichtige Apps für Android-Handys, Internetanschlüsse via “Google Fiber” – der Internet-Konzern versucht, neue Einnahmequellen neben der noch lukrativen Werbung aufzumachen. Diversifizierung nennen die Profis das.

Beim so genannten “Earnings Call” zum dritten Geschäftsquartal 2013 Mitte Oktober hat Google-CEO Larry Page in diesem Zusammenhang eine bemerkenswerte Äußerung gemacht: My struggle in general is to get people to spend money on long-term R&D. At most companies, 99 percent of R&D is incremental. I view my job as the opposite, to get people to spend on long-term R&D. People have a perception that’s material, but that’s not been my experience. Even the investments we’ve announced, like Calico (the new health initiative), while they’re significant dollar amounts, they’re not significant for Google. Frei übersetzt: Google soll künftig viel mehr Geld in die Entwicklung neuer Produkte stecken als die bisherigen zwei Milliarden Dollar pro Quartal. Doch welche Dinge könnte die Firma aus Mountain View denn bauen, mit denen sie in Zukunft neue Märkte aufmachen?

Robotik als nächster großer “Moonshot”
Seit vergangenem Freitag gibt es eine ziemlich eindeutige Antwort auf diese Frage: Roboter. Da wurde bekannt, dass Google
Boston Dynamics (übrigens Zulieferer der DARPA-Behörde des US-Verteidigungsministeriums) aufgekauft und seine Sammlung auf insgesamt 8 übernommene Roboter-Firmen 2013 erhöht. “BigDog”, “Cheetah” oder “WildCat” heißen die Schöpfungen von Boston Dynamics, die Tieren nachempfunden sind, ziemlich furchteinflößend sind und irgendwie an dystopische Roboterinvasions-Science-Fiction denken lassen. “BigDog” kann durch Schnee stapfen und 150 Kilo tragen, “Cheetah” läuft mit 45,5 km/h schneller als Usain Bolt, und der humanoide Roboter “Petman” soll chemische Schutzanzüge testen – aber seht selbst:

Der Mann, der Googles Roboterarmee bauen soll, ist der 50-jährige ehemalige Apple-Mitarbeiter Andy Rubin – jener Entwickler, der das Betriebssystem Android groß gemacht hat, das heute auf mehr als einer Milliarde Geräten weltweit installiert ist. Welche Produkte die neue, von Rubin geleitete Roboterabteilung von Google hervorbringen wird ist heute noch ungewiss – jetzt stehen erst einmal Jahre der intensiven Entwicklung an. Nimmt man aber die Boston-Dynamics-Roboter mit den Produkten der anderen aufgekauften Firmen zusammen – u.a. Schaft, Industrial Perception, Redwood Robotics, Bot & Dolly, Meka Robotics, Holomni -, ergibt das ein schlüssiges Bild. Google geht es nicht um Spielzeug, sondern um Arbeitsmaschinen, um Roboter, die in Fabriken, auf Baustellen oder in der Landwirtschaft arbeiten können.

Neue Möglichkeiten, neue Fragen
Techcrunch-Autor John Biggs sieht weitere Anwendungsmöglichkeiten: “Google is a data company and needs far more data than humans alone can gather. Robots, then will be the driver for a number of impressive feats in the next few decades including space exploration, improved mapping techniques, and massive changes in the manufacturing workspace”, schreibt er. Die GoogleBots könnten Seite an Seite mit dem Menschen arbeiten, uns vertreten oder gar ersetzen, und Google selbst könnte über die via Roboter erfassten Daten noch mehr über die Welt erfahren als heute über seine Suchmaschine und die Android-Smartphones.

Nun, bis “BigDog” Schafherden über die Weiden treibt und “Cheetah” als flotter Paketbote durch unsere Straßen jagt, werden noch viele Jahre vergehen. Doch auch andere Firmen dringen in den Bereich vor. Amazon sowie der iPhone-Fabrikant und Apple-Partner Foxconn wollen Roboter statt Menschen in ihren Lagerhallen bzw. Fabriken arbeiten lassen, und Facebook wird ein Labor für Künstliche Intelligenz, die man zur Beseelung von Maschinen braucht, einrichten. Je weiter die Robotik sich entwickelt, desto drängender werden auch die Fragen nach ihrem Einfluss auf die Gesellschaft sein. Wer wird die Roboter kaufen, besitzen und betreiben dürfen? Wie viele Arbeitsplätze werden diese intelligenten Maschinen kosten? Und: Werden die Tech-Kreaturen gemäß Asimovs Robotergesetzen so programmiert, dass sie Menschen keinen Schaden zufügen können und somit im Krieg nicht einsetzbar sind?

Der Schmäh mit „Free 2 Play“: Wie Candy Crush Saga Spielsüchtige monetarisiert

Candy Crush_Jakob Steinschaden

Es gibt einen neuen Zeitfresser für Smartphones: Das Spiel “Candy Crush Saga” des britischen Herstellers King.com, bei dem man bunte Zuckerl nach Farbe sortieren muss, hat 500 Millionen Downloads geschafft und wirft pro Tag mehr als 900.000 Dollar für seine Macher ab – und das, obwohl es eigentlich gratis ist. Clevere Spielmechanismen sorgen dafür, dass Candy Crush schnell süchtig macht und den Nutzern Kleingeld aus der Tasche lockt.

Uff. Noch 16 Stunden und 34 Minuten warten. Erst dann kann ich ins nächste Level aufsteigen und die nächste Partie “Candy Crush” am Smartphone zocken. Soll ich mich in Geduld üben oder doch 89 Cent springen lassen, damit ich sofort gelbe, blaue oder rote Bonbons zu Dreier- Vierer- oder Fünferreihen sortieren darf, um Gelee wegzusprengen und Punkte zu sammeln? Diese Frage beantworten hunderttausende Spieler auf der ganzen Welt offenbar mit “Ja!”. Hersteller King.com wurde der Spieltitel bis dato mehr als 500 Millionen Mal geladen, und ein kleiner Prozentsatz an Spielern ist bereit, für die “Free 2 Play”-App Geld auszugeben. Der New Yorker Game-Analysedienst Think Gaming schätzt die Einkünfte von “Candy Crush Saga” pro Tag bereits auf mehr als 900.000 Dollar – bei einer täglichen Spielerschaft von mehr als 6,5 Millionen Personen und täglich mehr als 63.000 Neuinstallationen.

„Free 2 Play“ als Geldmaschine
Eine echte Geldmaschine also. King.com soll Gerüchten zufolge bereits den Börsengang an der Wall Street planen und will dabei fünf Milliarden Dollar einnehmen, wie das Wall Street Journal kürzlich berichtete. Warum gerade Candy Crush zum Vorzeige-Spiel der Firma (mit Büros in London, Hamburg, Stockholm, Malmö, Barcelona, Malta, Bukarest and San Francisco wurde, ist und in kurzer Zeit zu anderen Smartphone-Hits wie “Angry Birds” von Rovio aus Finnland aufschließen konnte, ist bereits Gegenstand wilder Spekulationen geworden. Auf den ersten Blick ist das Spiel eine Kopie des PopCap-Klassikers “Bejeweled” aus dem Jahr 2000, bei dem man farbige Diamanten sortieren muss. Doch King.com dürfte es geschafft haben, das “Free 2 Play”-Prinzip zu perfektionieren und die Premium-Funktionen des Games so begehrt zu machen, dass die Spieler in Summe mehr Geld ausgeben, als wenn sie einmalig zwei, drei Euro für den Download bezahlt hätten.

89 Cent für den sofortigen Aufstieg ins nächste Level oder drei Farbbomben, 1,79 Euro für drei Spezialbonbons, 3,59 Euro für “mächtiges Kokos-Konfekt”? Per In-App-Purchase geben Nutzer kleine Beträge aus, und manche haben plötzlich eine große Rechnung zu berappen – etwa Gizmodo-Autorin Ashley Weinberg, die bei “Candy Crush Saga” 236 Dollar ausgegeben hat, also viel mehr Geld, als das teuerste PlayStation-4-Game kostet. Auch andere Spiele wie “Pflanzen gegen Zombies 2” funktionieren nach dem Prinzip: Zwar kommt man theoretisch gratis bis ans Ziel, aber wer alle Level freischalten und alle Pflanzen haben möchte, muss dort mehr als 50 Euro zahlen.

Trickreiche Spielmechanismen
Warum aber macht “Candy Crush Saga” so süchtig? Der Gamification-Experte Yu-Kai Chou hat
Antworten darauf; ihm zufolge arbeitet King.com mit einer ganzen Palette an Spielmechanismen, die die Nutzer an das Game binden. Eine davon etwa heißt “Anfängerglück”: Die ersten Level seien so einfach gestrickt, dass der Spieler das Gefühl bekommt, besonders gut beim Bonbon-Sortieren zu sein. Dann würde das so genannte “Free Lunch” dazukommen: Die ersten Spezialbonbons, für die man später 1,79 bis 3,59 Euro zahlen muss, sind. Zudem würde “Candy Crush Saga” mit audiovisuellen Tricks den Fortschritt des Gamers immer wieder belohnen – der Pawlow´sche Hund lässt schön grüßen – und es durch die starke Integration von Facebook schaffen, den Wettkampf mit anderen Spielern anzustiften. Und dann ist da natürlich noch die Ungeduld, die “Candy Crush Saga” weckt, indem es den Spieler aufs nächste Level oder das Zurückgewinnen von Leben warten lässt – und schon kaufen sich einige Ungeduldige von der Wartezeit frei.

Das King.com mit diesen und anderen Mechanismen arbeitet, hat der Firma bereits Kritik eingebracht. So verdächtigen Nutzer die Macher, das Game zu manipulieren. Wenn die Software etwa registriert, dass ein Spieler gewillt ist, Geld auszugeben, sollen die Levels plötzlich schwerer werden und damit die Notwendigkeit größer, sich die Power-Ups zu kaufen. Auch das “Anfängerglück” sei gesteuert – anders als etwa beim Roulette, das rein auf Zufall basiert, kann das Programm bestimmen, welche Bonbons der Spieler auf den Bildschrim bekommt. In einem Interview nahm Tommy Palm, selbst ernannter “Game Guru” bei King.com, bereits zu den Vorwürfen Stellung und sagte, dass es bei “Candy Crush Saga” kein “evil scheme” gäbe. Doch das die Firma, die bald an die Börse will, klare Monetarisierungsstrategien verfolgt und nicht einfach nur ein lustiges Spiel anbieten will, muss auch klar sein.

NSA-Forscher Steve Wright: „Es wird zu einer Balkanisierung des Internet kommen“

Steve Wright_Jakob Steinschaden

Der Brite Steve Wright ist einer jener Menschen, die die Welt mit ein wenig anderen Augen sehen. Wenn du dein Smartphone auf den Tisch legst, fragt der Forscher von der Universität Leeds nicht etwa, welche Apps du nutzt, sondern welchen Chip es eingebaut hat – um dir im selben Atemzug vorzurechnen, dass du mehr Rechenpower in der Hosentasche herumträgst als die gesamte erste Mondmission 1969 zur Verfügung hatte. Wright forscht seit Jahrzehnten zu Überwachungs- und Militärtechnologien und hat 1998 den Bericht des EU-Parlaments über das geheime NSA-Spionagesystem Echelon verfasst, dessen Untersuchung durch 9/11 und den “war on terror” ins Stocken geriet. Die Snowden-Enthüllungen bestätigten seine Forschungsarbeit über das ungeheure Ausmaß der NSA-Überwachung. Im Interview spricht er als Gast des World-Information Institute in Wien über die militärischen Ausmaße der Überwachung, die Lethargie der Massen und das (nicht in Stein gemeißelte) Ende der Privatsphäre.

Als der britische “Guardian” am 5. Juni über die Snowden-Leaks und die NSA-Überwachung zu berichten begannen – haben die neuen Erkenntnisse Sie überrascht?
Das derzeitige Drama hat Wurzeln. Meine erste Veröffentlichung über die NSA und die Abhörung von Telefonanlagen habe ich 1977 gemacht. Ich war gerade am Weg zum Zahnarzt, als ich von den Enthüllungen hörte, und war nicht überrascht, sondern vielmehr begeistert. Ein paar Wochen vorher hatten wir einen Kurs für unsere Studenten über Überwachung, wie die NSA Telefonate abhört, Kabelnetze anzapft und Social Media überwacht. Das wollten sie damals nicht so recht glauben. Snowden hat meine Behauptungen, die ich aus verschiedensten Quellen zusammengestückelt habe, bestätigt. Er bietet die Sicht eines Insiders und hat harte Fakten ans Tageslicht befördert.

Ihre erste Publikation über die NSA-Überwachung machten Sie 1977. Welche Erfahrungen haben Sie mit den Geheimdiensten gemacht?
Meinen ersten Kontakt zur NSA hatte ich als Student, als ich begann, die seltsamen Areale hinter der Universität von Manchester zu untersuchen. Als ich Fotos machte, ist mir aufgefallen, dass die Sendeanlagen dort nicht wie sonst üblich in nord-südlicher Richtung ausgerichtet waren, sondern von Osten nach Westen. Im Westen liegt Nordirland, im Osten die North York Moores, wo die mysteriöse Station Menwith Hill liegt, die den Amerikanern gehört. Das hat gereicht, dass die Polizei eine Razzia an der Uni durchführen ließ und mir gedroht wurde, dass mir meine PhD-Thesis weggenommen werden würde, weil ich das Geheimhaltungsgesetz gebrochen hätte. Was ich gesehen hatte, war folgendes: Die NSA wechselte von terrestrischer Überwachung auf Satellitenüberwachung mit Hilfe der Infrastruktur in Menwith Hill. Damals wurden die ersten Spionagesatelliten gestartet, und sie wollten nicht, dass auch nur irgend jemand darüber redet, weswegen sie sich auf alle Forscher in dem Gebiet einschossen. Für mich war das eine beängstigende Zeit, weil mir niemand glaubte, dass ich unschuldig bin, ich fühlte mich wie bei Kafka.

1998 haben Sie den STOA-Report für das EU-Parlament über das globale Spionagesystem Echelon geschrieben. Welche Auswirkungen hatte der Bericht?
Bei den Folgeberichten war der spannendste Teil der, der die wirtschaftliche Seite beleuchtete. Es zeigte, dass die NSA 120 Milliarden Dollar aus der europäischen Wirtschaft gesaugt hatte. Das ist unfassbar viel Geld, als würde jemand seit der Geburt von Jesus jede Woche einen Tresor mit einer Million Dollar stehlen. Seither hat sich das verschlimmert. Die Franzosen sagen, dass es ein angelsächsisches Spionagesystem ist, und sie haben wahrscheinlich recht damit. Das gesamte Netzwerk wird von weißen Angelsachsen betrieben, die so genannten “5 Eyes” USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Das hat einen Graben zwischen Großbritannien und seine europäischen Partnern getrieben.

Großbritannien, wo Sie herkommen, hat ja eine besondere Rolle in dem System.
Laut Snowden überwacht die GCHQ (britischer Geheimdienst, Anm.) 39 Milliarden Events pro Tag, hat 200 Glasfaserkabel angezapft, aus 46 davon beziehen sie Daten. Pro Tag saugen sie 21 Petabyte Daten ab, das sind 192 Mal mehr Daten pro Tag, als in der gesamten British Library liegen. Das ist niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit passiert, und diese Informationen geben diesen Staaten Macht, um die Spielregeln zu ändern. Sie wissen, wie andere Staaten verhandeln wollen, wissen, was in den Schlafzimmern führender Politiker geredet wir, und können dementsprechend die Agenda beeinflussen.

Betreiben die Geheimdienste auch Wirtschaftsspionage?
Ich glaube, dass sie multiple Aufgaben haben. Terrorismus ist ja eine verhältnismäßig kleine Gefahr. Es ist wahrscheinlicher, von Bienen zu Tode gestochen zu werden oder von einem Meteoriten erschlagen zu werden, als in einem Terroranschlag umzukommen. Wenn wir uns so um Todesraten kümmern würden, würden wir einen Krieg gegen das Auto führen oder aufhören, Waffen zu exportieren. Nein, stattdessen stecken wir enorme Mengen Geld in Systeme, die Menschen finden sollen, die uns nicht mögen. Dieses Spiel heißt Politik, und es ist ein Verführerisches. Wir sind süchtig nach Voyeurismus. Wenn ich dir eine Box anbiete, mit der du jeden überwachen kannst, wer würde da schon Nein sagen?

Die Überwachung durch NSA und GCHQ besteht aus zahlreichen Komponenten, von Prism über Tempora und Upstream bis hin zu Bundless Informant und XKeyScore. Ist das zusammengenommen bereits totale Überwachung?
Es ist noch nicht totale Überwachung, aber deutlich mehr als früher. In Großbritannien ist die Überwachung deutlich schärfer als hier. In Städten wie London ist die Überwachung bereits so fortgeschritten, dass Systeme die Betreiber von Geschäften informieren können, wenn jemand mit viel Geld in den Shop kommt, damit die Verkäufer ihn entsprechend hofieren können. In der Londoner U-Bahn können Kameras erkennen, wenn sich jemand auffällig benimmt und möglicherweise Selbstmord begehen will. In Amsterdam analysieren Kameras Geräusche, um zu erkennen, wenn Ausschreitungen ausbrechen. Das alles sind Überwachungssysteme von militärischen Ausmaßen, die auf Zivilisten angewendet werden. Das ist der gefährlichste Teil. Das Militär arbeitet im Verborgenen, dort, wo das Rechtssystem nicht mehr greift.

Was denken Sie, welche Auswirkungen haben diese Überwachungssysteme auf die Menschen?
In Großbritannien war der Mord des dreijährigen James Bulger durch zwei Zehnjährige 1993 ein Wendepunkt. Aufnahmen von Videokameras wurden in dem Fall als Beweismittel verwendet, und seitdem wollen viele Menschen überall Überwachungskameras. Auch die IRA-Anschläge in England haben die Fördergelder für die Kamerasysteme so sehr in die Höhe getrieben, dass diese heute als normal wahrgenommen werden. Ich sehe es bei meinen Studenten: Wenn man sie nicht mit der Nase darauf stößt, sieht diese Generation sie die Überwachung nicht. Das Spannende daran ist, dass sie selbst durch ihre Smartphones Überwachungskapazitäten haben. Das gleicht das Kräfteverhältnis aus, wie man etwa im Arabischen Frühling gesehen hat. Ich glaube, dass es quasi ein darwinistisches Technologierennen gibt zwischen den Leuten auf der Straße und den staatlichen Überwachern. Deswegen ändert das Militär auch seine Doktrin, nach der jeder ein Ziel werden kann. Es geht nicht mehr um Beobachtung, sondern um Targeting, und das ist der Punkt, an dem die Leute nervös werden. In Ländern wie Pakistan oder Afghanistan ist das Überwachungssystem an Waffensysteme gekoppelt, dort hängen die Drohnen wie Damoklesschwerter über den Menschen, die jederzeit und überall zuschlagen können. In Europa leben wir in der Illusion, dass wir sicher sind. Wir haben Jahrzehnte ohne Kriege hinter uns, aber historisch gesehen wird das nicht immer so bleiben. Einem Staat die Fähigkeit zu geben, jeden Bürger orten zu können, ist sehr gefährlich.

Jetzt, wo wir wissen, was die NSA macht: Warum protestieren die meisten Menschen nicht dagegen, warum gehen Ihre Studenten nicht auf die Straße?
Ich, glaube, das alles ist nicht durchschaubar. Einige mögen sich denken, dass sie ein wenig vorsichtiger sein müssen mit dem, was sie online posten. Es ist, wie von Kohlenstoffmonoxid getötet zu werden, es ist eine langsame Beseitigung dessen, was man als sein Leben angesehen hat. Es ist kein abrupter Wechsel von einem Tag auf den anderen. Nicht einmal Snowden ist der dramatische Wendepunkt in dieser Geschichte, die Medien wollten lieber wissen, was er zum Frühstück hatte, wie es seiner Freundin geht und ob er es nach Moskau schafft. Man braucht technisches Verständnis, um überhaupt die Tragweite der Leaks zu verstehen, und die haben die meisten Menschen nicht. Viele liegen einfach dem PR-Gag auf und glauben, ein wenig Freiheit für mehr Sicherheit aufzugeben.

Sie beschreiben da eine sehr düstere Zukunft. Warum so pessimistisch?
Wir leben in einer sehr schmerzfreien, privilegierten, die Menschenrechte unterstützenden Zone. Der Süden hingegen ist eine Kriegszone, Menschen hungern zu Tode, und der Klimawandel wird eine Völkerwanderung auslösen. Wenn sich eine Milliarde Menschen in Bewegung setzt, werden wir die mit Freuden bei uns empfangen? Nein, wir werden eher eine Festung bauen und Tracking-Systeme etablieren, die Menschen vom wandern abhalten. Außerdem wird China unsere Zukunft mitbestimmen. Die Olympischen Spiele waren ein enormer Treiber für Überwachungstechnologien, die Große Firewall ist ihre Norm. Es zeichnen sich unbequeme, neue Realitäten ab, die diskutiert werden müssen.

Sehen Sie die Chance, dass Staaten wie Großbritannien die Macht ihrer Geheimdienste beschneiden?
9/11 war eigentlich das Versagen des GCHQ und der NSA, diese Terroristen zu finden. Und dieser Versagen wurde trotzdem mit riesigen Mengen an Geld belohnt. Ich denke, es wäre dumm zu glauben, dass irgendeine Regierung sie angreifen könnte. Es wird Untersuchungen geben und eine Debatte um das Verhältnis geben, aber niemand wird sie aufgeben wollen.

Googles Vorstandsvorsitzender Eric Schmidt sagte kürzlich, dass Verschlüsselung in zehn Jahren Zensur und Überwachung ein Ende setzen könnte. Hat er Recht?
Ja, der Mann weiß, wovon er spricht. Die Verschlüsselung, die heute kommerziell angeboten werden könnte, würde die Kapazitäten der Geheimdienste sprengen. Das Problem sind noch die Adoptionsraten, selbst in Expertenkreisen wird etwa die E-Mail-Verschlüsselung PGP nur seltn genutzt. Aber stell´ dir vor, es gibt ein Smartphone, das für 50 Dollar mehr garantiert, dass die NSA für das Knacken deiner Kommunikation ein paar Monate braucht. Hunderttausende würden sich so etwas kaufen, es gibt einen Markt dafür. Außerdem wird es zu einer Balkanisierung des Internet kommen. Derzeit laufen 85 Prozent des Datenverkehrs durch ganze vier Gebäude in den USA, und werden die Chinesen da noch wollen, dass ihre Daten da durchgehen?

Der Google-Guru Vint Cerf, einer der Väter des Internet, hat sich kürzlich ebenfalls zu Wort gemeldet und meinte, dass Privatsphäre nur eine Anomalie der Geschichte sei. Was halten Sie davon?
Das ist sehr selbstgefällig. Der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat ja das selbe gesagt. Aber wir sind sehr private Lebewesen, wir wollen nicht dauernd transparent sein. Wir werden Institutionen wollen, die für uns das Recht auf Privatsphäre verteidigen sollen, aber in diesem Kampf werden wir Champions brauchen, und da stehen wir erst am Anfang.

Alles Apps: Ist womöglich „Mobile“ die Geheimwaffe österreichischer Start-ups?

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Das nächste große Ding kommt aus dem Bereich Local Social Mobile”, sagte Google-Vorstandsvorsitzender Eric Schmidt 2011 auf einer Konferenz in San Francisco. Irgendwo in einer Garage würde es gerade entwickelt werden, und auch er würde nur zu gerne wissen, was es ist. Heute, mehr als zwei Jahre später, haben wir Klarheit. Facebook kaufte sich Instagram um 875 Mio. Dollar, WhatsApp soll in Sachen Nutzerschaft größer als Twitter sein, und Internet-Riesen wie Google und Facebook reißen sich um Snapchat. Überhaupt: Google, Twitter und Facebook behaupten bereits von sich, “Mobile First”-Companies zu sein und Produkte mit starken Fokus auf Smartphone- und Tablet-Displays zu entwickeln. Dieser Boom hat vom Silicon Valley ausgehend, mit iPhone und Android quasi als die wichtigsten Überbringer der Botschaft, natürlich auch Österreich erfasst.

„Mobile first“ auf Österreichisch
Würde mich heute jemand fragen, was die Stärke heimischer Start-ups ist, würde ich antworten: “Mobile”. Nahezu alle Internet-Jungfirmen aus Wien und den Bundesländern, die 2013 von sich reden machten, denken bereits “Mobile first”. Speerspitze der Szene ist natürlich Runtastic aus dem oberösterreichischen Pasching, die 51 Prozent ihrer Fitness-App um viele Millionen Euro an den Verlagsriesen Axel Springer aus Berlin verkaufte und damit die Sensation des österreichischen Start-up-Jahres schaffte.

Oder die Flohmarkt-App Shpock: Anstatt die eher mittelmäßige Produktempfehlungs-Plattform Finderly weiterzuentwickeln, schwenkten ihre Gründer komplett auf die schnell wachsende Smartphone-Anwendung um und kassierten ein Millioneninvestment des norwegischen Medienkonzerns Schibsted. Oder der digitale Reiseführer Tripwolf, der bereits 2007 gegründet wurde, und statt wie damals aufs Desktop-Web heute auf Mobile setzt und heute 5 Millionen App-Downloads vorweisen kann.

In der zweiten Reihe
Die nächste Welle an Mobile-Start-ups wartet schon auf ihren großen Auftritt. Die auf Smartphone-Werbung bzw. mobile Marktforschung spezialisierten Firmen MobFox und Qriously und haben es aus Wien heraus bereits den Sprung nach London geschafft, Rublys will mit Rubbel-Gutscheinen mobiles Marketing neu erfinden. Das Location-Based-Game Senoi, quasi die Wiener Alternative zu Googles Ingress, heimste vergangene Woche gleich zwei Preise (“Content Award” und “Futurezone Award”) ein und will genauso wie die App “Story Hunter”, die Nutzer dazu bringen, die Stadt auf neuartige Weise zu erkunden. Shopikon wiederum bietet Smartphone-Shopping-Guides für sieben Metropolen wie New York, Berlin oder Barcelona, Evntogram ist ein mobiler Veranstaltungs-Führer, und Ulmon hat sich auf Offline-Städteführer spezialisiert.

Und dann gibt es sogar einige Mobile-Start-ups, die sich der Hardware verschrieben haben: Die Diabetes-App mySugr arbeitet an mobilen Blutzucker-Messgeräten, Tractive verkauft kleine Ortungsgeräte für Haustiere, und Locca (Gewinner der “hy! Berlin”) bietet GPS-Sender generell zu Auffinden von Dingen, Menschen und Tieren an. Und wer immer gerne vergessen wird: Die Grazer App-Schmiede Sonico Mobile, die mit “iTranslate”, “iTranslate Voice” oder “Languages” bereits eine ganze Reihe an erfolgreicher Sprach-Anwendungen herausgebracht hat.

Apps als eigenständige Qualität
Der Vergleich zu Berlin, dem großen Start-up-Zentrum des deutschsprachigen Raums, ist hierbei spannend. Denn viele prominente Internet-Firmen aus der deutschen Hauptstadt wie 6Wunderkinder, Outfittery, Soundcloud, Babbel, DaWanda, kaufDA, Tape.tv, Wimdu, ResearchGate, Lieferheld oder Lieferando sind nicht “Mobile first” – einmal abgesehen von Ausnahmen wie EyeEm, JustBook, Readmill oder die an Tape.TV verkaufte Location-App Amen. Auch ein Blick zu den Großen offenbart wenig Smartphone-Affinität: Im Springer-Accelerator “Plug & Play” sitzen derzeit acht Start-ups, nur zwei davon haben sich dezidiert auf “Mobile” spezialisiert (Embraase und VintageHub). Und im Portfolio des großen Berliner Internet-Inkubators Rocket Internet der Samwer-Brüder findet sich abgesehen von Mobile-Payment-Start-up Payleven wenig „Mobile”, weil stark auf eCommerce á la Zalando gesetzt wird.

Land der Smartphone-Liebhaber
Dass Österreich so stark im Mobile-Bereich ist, hat Gründe in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Bis vor wenigen Jahren war das kleine Alpenland führend im Mobilfunk, war Testmarkt der Branche, hat eine SIM-Karten-Penetrationsrate von 120 Prozent und mehr und war das erste Land, in dem gleich zwei Handy-Betreiber das iPhone anbieten konnten (während andere Länder gar keines bekamen). Ergibt unterm Strich: Österreicher sind extrem Smartphone-affin, wachsen seit Jahren damit auf. Dazu kommt, dass der wichtigste Business Angel des Landes, Hans Hansmann (investiert u.a. bei Runtastic, Shpock) ebenfalls stark auf den “Megatrend Mobile” setzt, wie er sagt – und auf seinem Schreibtisch landen wahrscheinlich alle Businesspläne, die Start-ups aus Österreich aushecken.

Ob das kleine Land etwas aus dem Trend machen kann, ob etwa die 100 Millionen Euro Fördergelder des Austria Wirtschaftsservice in “Mobile” fließen werden, ob Österreich vielleicht gar sein eigenes Instagram oder WhatsApp hervorbringt, bleibt aber noch abzuwarten. Denn das Mobile-Business mit seiner starken Location-Komponente birgt eine Gefahr: Dass man sich im Lokalen verfranst und den Blick aufs Ganze verliert. Und genau das gefällt Investoren gar nicht: Start-ups, die international nicht skalierbar sind.

Reddit-Gründer Alexis Ohanian: „Die Sharing Economy ist noch ganz am Anfang“

Alexis Ohanian_Jakob Steinschaden

Bei meiner letzten New-York-Reise vor einigen Monaten habe ich einen der spannendsten Internet-Persönlichkeiten der USA getroffen: Reddit-Gründer Alexis Ohanian, der sich auch als Internet-Investor und Netzaktivist betätigt. Unser Gespräch damals ist bereits im Bestseller erschienen, aber weil Ohanians Aussagen einigermaßen zeitlos und nach wie vor relevant sind, gibt es das Interview jetzt auch hier im Blog zu lesen. Enjoy!

Alexis Ohanian
saß gerade in einem kleinen New Yorker Café im Schatten des neuen Wolkenkratzers “One World Trade Center” und ging mit dem Rotstift ein letztes Mal über sein Manuskript, als ich ihn zum Interview traf. Der Packen Zettel wurde im Oktober unter dem Titel “Without Their Permission” veröffentlicht und ist das erste Buch des 31-jährigen New Yorkers, der Internet-Investor, Netzaktivist und Start-up-Gründer in Personalunion ist. 2005 gründete er gemeinsam mit Steve Huffman die Social-News-Seite Reddit, auf der sich heute mehr als 85 Mio. Nutzer die spannendsten Links aus dem Netz zuschicken und (teilweise heftig) diskutieren.

Ohanian und Huffmann verkauften Reddit nur ein Jahr nach der Gründung um etwa 20 Millionen US-Dollar an den Condé-Nast-Verlag (u.a. The New Yorker, Vogue, Vanity Fair), und Ohanian reinvestierte seine so verdienten Millionen in eine beeindruckende Liste von Internet-Start-ups (u.a. Evernote, Codecademy, Artsy, Flightcar, Grouper). Zudem ist Ohanian eines der Aushängeschilder des US-politischen Netzaktivismus: Er hat sich im Wahlkampf mit der “Internet 2012 Bus Tour” engagiert und unterstützte die Proteste gegen die vielfach kritisierte Internetregulierungsgesetze SOPA und CISPA – das US-Magazin Forbes ernannte ihn gar zum “Bürgermeister des Internet”.

Anfang Oktober ist Dein erstes Buch in den Handel gekommen, das den Titel ”Without Their Permission” trägt. Wovon handelt es?
Egal, ob ich mit großen Wirtschaftsbossen, College-Studenten oder politischen Aktivisten gesprochen habe, ich bin immer auf ein wiederkehrendes Thema gestoßen: Man wartet heute nicht mehr auf die Erlaubnis von irgendjemand anderen, um “awesome” zu sein und online etwas zu schaffen. In der Tech-Szene spricht man von “Innovation ohne Erlaubnis”, man kann sich ein Notebook schnappen und etwas kreieren. Dropbox wurde an einer Busstation gestartet und ist heute eine Multi-Milliarden-Firma. Dieses Schema ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel geworden. Das Spannende für mich daran ist, wie das Internet Philantropie, Politik und Aktivismus verändert. Ich gebe meine eigenen Erfahrungen aus meinen Internet-Diensten Reddit und Hipmunk weiter, und es soll inspirierend sein. Ich erzähle etwa die Geschichte eines Lehrers aus Virginia, der eine halbe Million Dollar über DonorsChoose.org gesammelt hat. Es geht mir um diese phantastischen und gleichzeitig ganz normalen Menschen, die das Internet als Plattform benutzen, um revolutionäre Dinge zu machen.

Wer sind denn “die”, von denen wir keine Erlaubnis mehr brauchen?
Gatekeeper. All jene Hierarchien der Vergangenheit, die Leute davon abgehalten haben, etwas zu machen. Das heißt nicht, dass es keine Berechtigung mehr für Plattenfirmen oder Verlage gibt, aber die Spielregeln haben sich verändert. Der Musiker Lester Chambers, mit dem ich zusammenarbeite, hat jahrzehntelang kein Geld aus den Plattenverkäufen bekommen, weil er einen schrecklichen Vertrag unterschrieben hat, und am Ende war er gar obdachlos. Via Kickstarter haben wir 61.000 Dollar für sein neues Album gesammelt. Die Macht verschiebt sich.

Die Macht mag sich verschieben – aber doch nur in Richtung anderer Konzerne wie Google, Apple, Spotify oder Amazon, die als neue Gatekeeper fungieren.
Was mich optimistisch stimmt, ist, dass die alten Gatekeeper offline waren. Um mit ihnen zu konkurrieren, musste man eine neue Plattenfirma oder einen neuen Verlag mit viel Geld aufbauen. Die neuen Führer aber spielen auf digitalem Boden, ihre Vorherrschaft ist nicht in Stein gemeißelt. Heute kann man vom Wohnzimmer aus eine Firma starten und Google Konkurrenz machen, so wie etwa die Suchmaschine DuckDuckGo. Früher hat es Jahrhunderte gedauert, um Branchen zu verändern, heute geht das in zehn Jahren. Ich kann mir eine Welt vorstellen, in der man kein iTunes oder Spotify braucht, sondern Loyalität zum Künstler und seiner Musik hat. Es kann sich sehr schnell eine neue Plattform etablieren, die eine viel persönlichere Beziehung zum Künstler erlaubt, quasi ein Fanclub 2.0, wo man einen Musiker abonnieren kann, Fotos, Jam-Sessions und so weiter bekommt. Auf Basis dieser Beziehung könnte der Künstler einfach Geld verdienen.

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Wieso veröffentlichst Du eigentlich ein Buch? Du kommst ja aus der Internet-Branche, in der die Meinung vorherrscht, dass Print tot ist.
Ich bin zwar online aufgewachsen, aber ich bin immer noch offline geboren. Die Kernidee des Projektes ist, diese Ideen zu sammeln und in den Mainstream zu bringen. Für mich ist das Buch das optimale Mittel, um die Botschaft zu verbreiten, ich wollte ein physisches Ding, das ich in TV-Shows mitnehmen kann, dass Kinder ihren Eltern schenken können. Ich habe auch ein gemeinnütziges Unternehmen namens Breadpig, wo wir Comic-Bücher veröffentlichen. Ironischerweise floriert das Geschäft seit drei Jahren. Als Verleger kann ich Ihnen aber sagen: Die Industrie steht wirklich mitten in einem großen Wandel, mittlerweile verwenden wir die Crowdfunding-Plattform Kickstarter, um die Veröffentlichungen zu finanzieren. Für unsere “Choose-Your-Path”-Version von Hamlet hat fast 600.000 US-Dollar gesammelt.

Wie wird es mit Verlagen aus Deiner Sicht weitergehen?
Die Branche muss sich ändern. Wenn wir via Kickstarter Bücher finanzieren und dem Autor auch noch 75 Prozent der Einnahmen geben können, wieso sollten Autoren dann noch zu einem traditionellen Verlag gehen?

Glaubst Du, dass das Modell des Crowdfunding auch für eine Zeitung funktionieren kann?
Es gibt Beispiele, bei denen sich einzelne Journalisten finanzieren ließen, um eine bestimmte Story zu recherchieren. Das ist aber noch nicht wirklich abgehoben. Ich mag die Idee, aber ich weiß nicht, ob sich das für ein Medium umsetzen lässt. Individuelle Schreiber sind heute mehr wert als die Publikationen, für die sie schreiben. Früher hat man für die
New York Times gearbeitet, weil sie eine respektierte Marke ist. Das hat sich verschoben: Heute haben diese Journalisten ihr Publikum auf Twitter, und sie wollen den Früchte ihrer Arbeit selbst ernten. Wenn Schreiber mehr Macht bekommen, weil sie ihr eigenes Publikum haben, dann müssten sie Wege finden können, Geld von diesem Publikum zu bekommen. Für Künstler funktioniert das.

Wo kann man für den Journalismus im Internet Geld holen?
Micropayments werden glaube ich niemals funktionieren. Jemanden zwei Cent für einen Artikel geben, ist viel zu mühsam, man muss die Kreditkarte rausholen oder sich irgendwo einen Account anlegen. Was interessanter ist, ist das Modell des Crowdfunding. Einige tausend Menschen könnten sagen: Es ist uns ein paar Dollar im Monat wert, dass dieser investigative Journalist für ein Jahr seine Arbeit machen kann. Ich glaube, dafür gibt es eine Markt, es gibt genug Leute, die das umsetzen könnten. Ich habe in einige Firmen investiert, die sich diesem Modell annehmen, aber es ist noch kein gelöstes Problem.

Für Musiker mag das funktionieren, aber für Journalisten? Bei einer Band bekommt man erwartbare Ergebnisse, ein investigativer Reporter kann leicht scheitern.
Das Interessante an der Kickstarter-Ökonomie ist, dass die Leute weniger wegen dem mitmachen, was sie bekommen, sondern vielmehr deswegen, weil sie an den Künstler glauben. Jemanden zehn Dollar im Jahr dafür zu geben, dass er lokalen, investigativen Journalismus für die Bürger macht, fühlt sich gut an.

Beim Verkauf von Reddit hast Du viel Geld gemacht, dass Du jetzt in andere Internet-Dienste steckst. Was müssen die haben, damit Du investierst?
Es ist ein Klischee, aber es sind die Gründer. Ich suche Leute, die mich inspirieren, die große Probleme lösen wollen. Das ist das ganze Rezept.

Als Investor musst Du Ausschau danach halten, was das nächste große Ding ist. Was kommt nach “Social” und “Mobile”?
Diese Sharing Economy, die
Airbnb (Online-Marktplatz für Privatunterkünfte, Anm.) sexy gemacht hat, steht noch ganz am Anfang. Ich habe in eine ziemlich coole Firma namens FlightCar investiert, die bemerkt haben, dass auf Flughäfen viel Platz mit Parkplätzen verschwendet wird. Sie sagen: Was wäre, wenn man in San Francisco zum Flughafen fährt, das Auto an jemanden vermietet, der gerade ankommt, es nimmt und sauber wieder zurück bringt? Statt für das Parken zu zahlen, wird man dafür bezahlt, dass jemand das Auto wäscht und säubert. Ich dachte: Verdammte Scheiße, das könnte groß werden! Diese Dinge sind sehr spannend – sie machen zwar nichts technisch Brillantes, aber sie haben das richtige Timing und setzen die Idee richtig um.

Lebst Du die Sharing Economy selbst?
Für meine Buch-Tour durch Europa plane ich, ausschließlich bei Airbnb-Vermietern zu buchen. Warum auch nicht, man bekommt die persönliche Note und einen günstigeren Preis als für ein Hotel im selben Viertel.

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Kommen wir zum Netzaktivismus: Du bist sehr aktiv im Kampf gegen Gesetze wie CISPA, die das Internet regulieren sollen. Bist Du optimistisch, dass das Internet alles zum Guten wenden wird?
Haha! Ich bin Amerikaner, natürlich bin ich optimistisch.

2012 gab es viel Aufmerksamkeit für die SOPA-Proteste, die Occupy-Wall-Street-Bewegung, Anonymous-Hacker. Doch die Aufmerksamkeit ist wieder abgeflaut. Warum?
Damals war das etwas Außergewöhnliches, weswegen es die Aufmerksamkeit aller bekam. Heute ist es nicht mehr so außergewöhnlich, und das ist ein gutes Zeichen. Innerhalb von nur drei Jahren haben wir einen Wandel in der Macht der Medien erlebt, kürzlich hat sogar jemand gesagt, dass Reddit das neue Mainstream-Medium ist. Wer früher Zugang zu den Radio- und TV-Stationen hatte, hat den medialen Diskurs bestimmt. Das passiert heute immer mehr über neue Distributions-Plattformen wie Reddit, Twitter und so weiter. Natürlich ist es viel offensichtlicher, wenn etwas auf der Titelseite der New York Times, aber es ist viel subtiler, wenn wir Dinge im Twitter-Stream oder dem Facebook-Feed sehen. Occupy Sandy, wo Aktivisten nach dem Hurrikan Hilfe via Internet koordinierten, ist vielleicht nicht auf den Titelseiten, aber es passiert trotzdem.

Social-Media-Nutzung kann sich auch ins Negative drehen. Auf der von Dir gegründeten Webseite Reddit fand im Zuge der Boston-Anschläge eine regelrechte Hexenjagd nach fälschlich Verdächtigten statt.
Das ist eine Herausforderung für alle Social-Media-Plattformen, egal ob Twitter, Facebook oder Reddit. Die Technologie ist agnostisch, und leider haben einige Menschen die Tendenz, diese negativen Dinge zu tun und eine Hexenjagd zu veranstalten.  Diese Plattformen sind die Reflexionen der Menschen, die sie nutzen, und das ist Segen und Fluch zugleich. Die meisten Menschen sind gut, das Gros der Nutzer hat ja nützliche Dinge gepostet und haben Hilfsbedürftigen ihre Wohnungen angeboten. Was übrigens enttäuschend ist: Auch Zeitungen wie die New York Post haben das auf ihre Titelseiten gehoben, und das sind keine offenen Plattformen.

Viele junge Menschen auch in Österreich wollen ihre eigenen Ideen umsetzen, Firmen gründen. Wie hast Du es geschafft, Reddit auf den Weg zu bringen?
Als wir uns bei Y Combinator (
Start-up-Investor aus San Francisco, Anm.) beworben haben, hatten wir eine andere Idee als Reddit, und wir sind abgelehnt worden. Am Weg nach Hause hat uns Paul Graham von Y Combinator angerufen und gesagt: “Wir mögen eure Idee nicht, aber wir mögen euch, wenn ihr die Idee ändert, seid ihr dabei.” Ursprünglich wollten wir einen mobilen Essensbestell-Dienst machen, aber damals war es noch zu früh dafür, es gab noch nicht viele Smartphones, wir hätten es SMS-basiert machen müssen. Dann haben wir mit Paul über Slashdot.org geredet, wo man die spannendsten Links bekommt, und wir hatten Erfahrungen mit einem College-Forum. Das haben wir kombiniert, und Paul sagte einfach: “Macht die Frontpage des Internet.”

Was hat den Erfolg von Reddit dann ausgemacht?
Was uns von Digg unterschieden hat, waren die Subreddits (Themen-Foren, die Nutzer einrichten können, Anm.). Steve hatte verdammt recht, als er vorschlug, die Subreddits zu erlauben. Jeder sollte sein eigenes Reddit machen können, so wie WordPress eine Plattform für Blogs ist. Das war sehr erfolgreich, ich meine, heute gibt es allein 80 verschiedene Foren für “My Little Pony”. Wir haben Jahre gefürchtet, dass Digg das kopiert, aber sie haben es nie getan.

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Du bist einer der wichtigsten Persönlichkeiten der New Yorker Tech-Szene. Yahoo! hat den New Yorker Web-Dienst Tumblr für 1,1 Mrd. Dollar gekauft. Wird sich der Web-Dienst dadurch verändern?
Tumblr war weit davon entfernt, profitabel zu sein, deswegen war es ein smarter Schachzug von David (Karp, Tumblr-Gründer, Anm.). Ich hoffe es stimmt, dass Yahoo die Firma in Ruhe lässt und sie in New York weiter wachsen kann. YouTube ist ein gutes Beispiel dafür, wenn eine große Firma einen Web-Dienst kauft und ihn eigenständig belässt. Reddit ist auch so ein Beispiel, aber es gibt eigentlich nicht viele Fälle, wo den Übernahmekandidaten Spielraum gelassen wird. Yahoo hat leider keine gute Historie bei der Übernahme von kleineren Web-Firmen. Das ist der erste Milliarden-Deal einer Tech-Firma aus New York. Als Start-up-Zentrum hat New York jetzt einen weiteren Punkt auf der Liste abgehakt.

Was bedeutet der Tumblr-Kauf für die Metropole als Technologie-Standort?
Investoren gehen dort hin, wo die Start-ups sind. Der Tumblr-Deal wird jetzt viele Gründer dazu inspirieren, sich in New York anzusiedeln. Es gibt schon jetzt ein Dutzend andere Internet-Firmen, die das nächste Tumblr sein wollen. Außerdem gibt es jetzt einige Leute bei Tumblr, die einen Haufen Geld haben, die es in die New Yorker Tech-Community reinvestieren können. Es ist eine Riesensache für New York.

Aus New York kommen immer mehr große Web-Dienste, etwa Fab, Foursquare, Tumblr, MakerBot, BuzzFeed oder Etsy. Was unterschiedet den Big Apple vom Silicon Valley?
Jede Start-up-Community sollte von den lokalen Vorteilen profitieren. New York ist natürlich stark bei Medien, aber da ist mehr als das. An der Westküste denkt man über die Monetarisierung später nach und baut zuerst ein Produkt, dass die Welt verändern kann. Hier liegt der Fokus stärker auf dem Business-Modell. Auch die Lebenskosten spielen eine Rolle. Schau dir die Mieten in San Francisco oder Palo Alto an, da steigen die Preise dramatisch. Ich habe 2009 und 2010 in The Mission in San Francisco gelebt, und das Apartment dort kostet heute das Doppelte. In New York kann man ums selbe Geld schön leben.

Was ist mit Brooklyn, wo Du herkommst – entwickelt sich das zum Start-up-Viertel New Yorks?
Ich bin aus Brooklyn, aber realistischerweise muss man sagen, dass es immer noch Manhattan ist. Das Gros der Tech-Szene ist zwischen dem Flatiron Building und North Tribeca angesiedelt. Aber viele junge Tech-Leute leben im Norden Brooklyns, Dumbo (Stadtteil, Anm.) etwa entwickelt sich zu so einem Zentrum.

Werden New Yorks Tech-Firmen einmal in der Liga mit Google, Apple und Facebook spielen?
Kickstarter (Crowdfunding-Plattform, Anm.) und Etsy (Online-Marktplatz für Selbstgemachtes, Anm.) sind beide revolutionäre Web-Firmen, die funktionierende Geschäftsmodelle haben – sie verdienen Geld. Ich kann mir vorstellen, dass eine der beiden zu einem New Yorker Titan aufwächst – und nebenbei bemerkt, beide sind in Brooklyn daheim. Aber insgesamt ist New York noch ganz am Anfang. Das Silicon Valley konnte über Generationen wachsen, es gibt dort schon lange Nerds, die reich werden und in andere Nerds investieren, die dann reich werden und in noch mehr Nerds investieren. Das macht das Ökosystem dort aus. Das Gleiche kann jetzt in New York in einem viel kürzeren Zeitfenster passieren – das Leben hier ist günstiger, Webseiten sind schnell gemacht, das Hosting ist günstig. New York steht erst am Anfang.

Dein Motto lautet “Making the World suck less”. Hast Du das geschafft?
Ein kleines bisschen vielleicht. Die Welt zu einem besseren Ort zu machen, ist natürlich ein ziemliches Klischee. Als ich das in der Schule mal gesagt habe, haben alle gelacht. Wir sind so indoktriniert, dass das nicht funktioniert, und ich wünsche mir, dass sich das ins Gegenteil kehrt und die Leute endlich erkennen, wie viel Potenzial im Internet steckt.

Fotocredits: Jakob Steinschaden

Plattenladen 2.0: Musik-Streaming-Dienst Spotify will als Talentschmiede aufgeigen

Spotify_iPad

Spotify hat es geschafft, meinen Musikkonsum zur Gänze zu erobern. Ich kaufe keine MP3s mehr, höre kaum noch Radio, über CDs brauchen wir gar nicht reden. ich bin aber nicht alleine: 24 Millionen User hat der Musik-Streaming-Dienst aus Schweden, 6 Millionen davon zahlen eine Premium-Gebühr (4,99 bzw. 9,99 Euro/Monat). Trotzdem steht Spotify weiter in der Kritik, vor allem kleinen Künstlern nur geringe Einkünfte zu bringen. Mit einem neuen Programm will die Firma sein Image geraderücken – und positioniert sich als Karriere-Beschleuniger für junge Musiker.

Beitrag zum Mainstream-Erfolg
Die frühe Verfügbarkeit der Musik von Lorde hat maßgeblich zum Erfolg von Lorde beigetragen auf dem Weg in den Mainstream.” Mit diesem Satz brüstet sich Spotify seit kurzem damit, der 17-jährigen Sängerin Lorde (bürgerlicher Name: Ella Yelich-O’Connor) aus Neuseeland zum Erfolg verholfen zu haben. In den USA schaffte es ihr Titel “Royals”, ein von Lordes souliger Stimme dominierter, grooviger Elektropop-Song, am 12. Oktober den Platz 1 der Single-Charts, verdrängte Miley Cyrus und hängt dort seit Wochen fest – in Österreich und Deutschland landete das Stück immerhin jeweils auf Platz 3. Ursprünglich veröffentlicht wurde “Royals” aber schon am 8. März, Lorde selbst wurde im Frühjahr zum Star in ihrer Heimat Neuseeland. Und da kam dann offenbar Spotify, mittlerweile in 32 Ländern weltweit verfügbar, ins Spiel: Am 19. März wurde “Royals” in dem Musik-Streaming-Dienst veröffentlicht.

Nachdem Spotify-Investor Sean Parker – ja genau, der Napster-Gründer und Ex-Facebook-Mitarbeiter – den Track in seine ziemlich populäre Spotify-Playlist “Hipster International” mit mehr als 800.000 Abonnenten aufnahm, kletterte “Royals” bis Mai auf den ersten Platz der Spotify Viral Charts. Dann wurden Radiosender in den USA aufmerksam, “Royals” tauchte am 10. Juni in den Alt Rock Radio Spins Charts auf. Auf Spotify übernahm der Track nur wenige Tage später den 1. Platz der Charts – zwei Wochen, bevor es der Song überhaupt in die Billboard Charts der USA schaffte. Laut Spotify ist “Royals” nach “Get Lucky” von Daft Punk und “Blurred Lines” Robin Thicke feat. Pharrell der meistgeteilte Titel des Jahres – und dieses Share-Feuerwerk dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass es eine junge Musikerin vom anderen Ende der Welt in die internationalen Charts geschafft hat, Konzerte in New York gibt und einen 1,9-Millionen-Euro-Plattenvertrag abgestaubt hat.

Vom Plattenladen 2.0 zur Plattenfirma 2.0
So verkauft zumindest Spotify die Story. Vergessen sollte man nicht, dass “Royals” etwa auch auf YouTube (seit der Veröffentlichung des Videos Mitte Mai mit 27 Millionen Views) und auf Soundcloud (seit Jänner mehr als 9 Millionen Plays gesammelt) veröffentlicht wurde. Zum Vergleich: Auf Spotify wurde der Song fast 50 Millionen Mal abgespielt – und da die Veröffentlichung des ersten Lorde-Albums “Pure Heroine”, wo “Royals” enthalten ist, allein in der ersten Woche in den USA zehn Millionen Abrufe generierte, muss man davon ausgehen, dass bis heute der Großteil dieser 50 Millionen Plays erst nach den großen Mainstream-Erfolgen dazugekommen sind.

Nichtsdestotrotz: Spotify hat heute immerhin die Möglichkeit, die Karriere eines Songs bzw. eines Künstlers genau zu tracken bzw. vielversprechende Talente seiner Nutzerschaft schmackhaft zu machen. Das im Oktober gestartete Programm “Spotlight Artists” soll genau das ermöglichen: Der Musik-Streaming-Dienst präsentiert in der prominent platzierten Rubrik im Web-Player (und später auch in den Desktop-Apps) Nachwuchstalente, die es sich lohnt zu hören. Das Jungkünstler-Marketing-Programm, wie man “Spotlight Artists” auch nennen kann, hat neben Lorde das (übrigens sehr empfehlenswerte) Schwestern-Trio Haim unter die Fittiche genommen, die gerade ähnliche Höhenflüge erleben.

Spotify kann sein Programm, das ein wenig an die Promo-Aktionen (Poster, Aufsteller, besondere Platzierungen der CDs) in Musikgeschäften erinnert, zweierlei nutzen: Zum einen lässt man die Nutzer so neue, spannende Musiker entdecken, und bietet der Musikindustrie einen neuen Marketing-Kanal. Und damit die Plattenfirmen, die alle selbst bei Spotify investiert haben, in dem Programm mitmachen, kommt die Erfolgs-Story von Lorde ganz recht. Und wer weiß, vielleicht wandelt sich Spotify einmal selbst zur virtuellen Plattenfirma, die junge Musiker unter Vertrag nimmt und für sie das weltweite Marketing macht.

Bildcredit: Spotify

Onliner des Jahres: Als Jury-Mitglied habe ich folgende Persönlichkeiten nominiert

Onliner des Jahres

Neben Christof Hinterplattner (Geschäftsleitung Digitale Medien „Heute“), Martina Zadina (Geschäftsführerin adworx), Alexis Johann (Geschäftsführer Styria Digital One), Niko Alm (Geschäftsführer Super-Fi), Andreas Martin (Geschäftsführer pilot@media.at), Florian Gschwandtner (Geschäftsführer Runtastic), Markus Wagner (Geschäftsführer i5Invest), Bernd Hartweger (Produkt- und Marketing-Chef der Austrian Airlines Group) und Ali Mahlodji (Geschäftsführer whatchado) bin ich einer der Jury-Mitglieder der Wahl zum “Onliner des Jahres”. Das sind meine Nominierten, die es zum Großteil in die Endauswahl geschafft haben:

Armin Strbac, Gründer von Shpock.
Weil er die Wiener Flohmarkt-App zu einem Millionen-Investment durch den norwegischen Medienkonzern Schibsted führen konnte die App mittlerweile in einem Atemzug mit eBay genannt wird.

Thomas Schranz, Gründer von Blossom.io. Weil er für sein Wiener Internet-Start-up Kunden wie Apple, Twitter, Facebook oder Spotify gewinnen konnte.

Fritz Jergitsch, Macher von dietagespresse.com. Weil er mit der Satire-Webseite frischen Humor in die Online-Medienlandschaft Österreichs brachte.

René Wegscheider, Digital Head bei Demner, Merlicek & Bergmann. Weil er und sein Team mit innovativer und mutiger Digital-Werbung die heimische Branche bereichert.

Elisabeth Oberndorfer, Gründerin von Digitalista. Weil sie mit dem ambitionierten Projekt Frauen in der österreichischen Digital-Branche stärken will.

Daniel Cronin, Moderator der Puls-4-Start-up-Show “2 Minuten 2 Millionen”. Weil er es als Start-up-Mitgründer zum Moderator der Puls-4-Start-up-Show geschafft hat und damit die Start-up-Szene in die Primetime bringt.

Hans Hansmann. Weil er der wichtigste Business Angel für Start-ups in Österreich geworden ist und mit Leidenschaft mit jungen Menschen zusammenarbeitet.

Max Schrems, Initiator von europe-v-facebook. Weil er einen unermüdlichen Kampf gegen Facebook und für den europäischen Datenschutz führt.

Jakob Egger, Macher von Steiramemes.com. Weil er der internationalen Meme-Internet-Kultur eine österreichische Heimat gegeben hat.

Rudi Fussi, Geschäftsführer von Mindworker. Weil er mit seinen Einsatz von Social Media Offline-Aktivitäten initiieren konnte – etwa den Spaziergang zur NSA-Villa oder den Spontan-Protest vor dem Parlament.

Christoph Jeschke, Geschäftsführer von AustrianStartups. Weil er der heimischen Start-up-Szene als Sprachrohr dient.

So, jetzt seid aber ihr gefragt, hier geht´s lang zum großen Voting zum Onliner des Jahres 2013!

Xing gegen LinkedIn: Wettrennen der Business-Netzwerke um zahlende Nutzer

Xing vs LinkedIn_MontageDas zum Medienkonzern Burda gehörende Business-Netzwerk Xing ist eine Bastion: Den neuesten Quartalszahlen zufolge zählt man im deutschsprachigen Raum 6,7 Millionen Mitglieder, während der US-Rivale “nur” etwa 4 Millionen Mitglieder in der Region hat. Monatlich zahlende Premium-Nutzer sind für Xing die wichtigste Einnahmequelle – weswegen man den Premium-Club um neue Funktionen und Produkte aufpoliert hat. Die beiden Plattformen im direkten Vergleich:

Trotz des erstarkenden US-Rivalen LinkedIn aus Mountain View, Kalifornien, droht dem Hamburger Business-Netzwerk Xing noch lange kein StudiVZ-Schicksal – jenes deutsche Social Network, das von Facebook einfach überrollt wurde. Zu stark verankert ist die Burda-Tochter mittlerweile im Berufsleben vieler Deutschen, Österreicher und Schweizer, um den Account einfach mal so gegen ein LinkedIn-Profil zu tauschen. So wie viele andere betreibe ich deswegen zwei Business-Profile parallel – eines bei Xing und eines bei LinkedIn. Kontakte aus lokalen, manchmal eher traditionelleren Branchen finde ich eher bei Xing, während sich internationale Kontakte aus jüngeren Branchen natürlich eher bei LinkedIn tummeln. Für manche, die so ein Business-Netzwerk-Doppelleben führen, stellt sich da die Frage: Wo leiste ich mir den Premium-Account?

XING Premium: Neues Vorteilsprogramm als Bonus
63 Prozent des
Xing-Umsatzes (13,7 Mio. Euro im 3. Quartal 2013) stammt aus dem Premium Club. Xings Premium-Mitgliedschaft kostet je nach Laufzeit und Vergünstigungsangebot zwischen 6,35 und 9,95 Euro pro Monat. Das entspricht Jahreskosten von bis zu 120 Euro und ist damit deutlich billiger als eine Premium-Mitgliedschaft bei LinkedIn (siehe unten). Xing Premium befriedigt natürlich vor allem ein großes Bedürfnis: Sehen zu können, wer das eigene Profil besucht hat. Im Berufsleben ist das eine spannende Sache, weil man sieht, welche potenziellen Arbeitgeber, Partner, Kunden und auch Konkurrenten Interesse an der eigenen Person haben – gehäufte Besuche deuten da auf einiges hin. Xing bietet seinen zahlenden Nutzern außerdem erweiterte Kommunikationsfähigkeiten: So darf man pro Monat 20 Nicht-Kontakte direkt anschreiben und Dateianhänge von bis zu 100 MB verschicken – letzteres lässt sich aber leicht mit Dropbox, WeTransfer oder dergleichen auch gratis und über die Mauern des Xing-Netzwerkes erledigen.

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Xing Premium bietet außerdem erweiterte Suchfunktionen, die das Durchstöbern des Netzwerks nicht nur nach Namen, sondern auch nach Positionen, Arbeitgebern, Interessen oder Einträgen erlaubt. Weiters geht es bei Xing Premium stark ums Präsentieren der eigenen Person. Zahlende Mitglieder dürfen ihre Karrierewünsche detailliert in ihrem Profil darstellen. Außerdem kann man sein Portfolio mit Bildern (ein Handshake mit Barack Obama macht sich hier sicher gut) und Dokumenten (Textproben usw.) unbegrenzt aufmotzen und sich Referenzen von anderen Mitgliedern geben lassen (das ist bei LinkedIn gratis). Last but not least: Xing will seinem Premium-Club künftig auch Vergünstigungen bei anderen Services zukommen lassen und hat deswegen ein Vorteilsprogramm gestartet. Demnächst dürfen Premium-Mitglieder die Smartphone-App
Blinkist, die Sachbücher für den flotten mobilen Konsum zusammenfasst, ein Jahr gratis nutzen und die Coworking Spaces der Design Offices gratis verwenden (Standorte in Berlin, Frankfurt, München, Düsseldorf und Nürnberg).

LinkedIn Premium: Teurer und weniger Umfang
Für LinkedIn sind die “Talent Solutions” für Recruiter und Jobsuchende mit 57 Prozent Anteil am Umsatz  die
wichtigste Einnahmequelle (224,7 Mio. Dollar im 3. Quartal). LinkedIn Premium kostet mindestens 14,95 Euro pro Monat (Business), wenn man gleich ein ganzes Jahr bucht, die Betreiber versuchen aber gleich, das Paket um 29,95 Euro pro Monat (Business Plus) zu verkaufen. Im Unterschied zu den Gratis-Nutzern dürfen zahlende Nutzer jedenfalls alle Profile bis zum 3. Vernetzungsgrad (Kontakt eines Kontaktes eines Kontaktes) einsehen und bekommen alle Besucher des eigenen Profils gelistet – wie auch bei Xing die wohl beliebteste Funktion. Neben der Sichtbarkeit geht es bei LinkedIn Premium auch stark um die Reichweite.

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Zahlende Mitglieder dürfen je nach Tarif zwischen 3 und 25 Direktnachrichten an Nicht-Kontakte schreiben und sich 15 bis 35 Mal pro Monat von einem eigenen Kontakt einem Mitarbeiter eines bestimmten Unternehmens vorstellen. In der Gratis-Version ist das 5 Mal pro Monat möglich, was wohl den meisten Nutzern völlig ausreicht. Wer besonders großzügig ist, erlaubt via OpenLink-Funktion allen anderen LinkedIn-Nutzern, ihn gratis zu kontaktieren. Schließlich geht es bei LinkedIn Premium auch stark um erweiterte Suchfunktionen: Zahler bekommen bis zu 700 statt nur 100 Profile bei einer Personensuche angezeigt und dürfen mit bis zu 8 Filtern auch genauer aussieben. Außerdem darf man öfter als die Gratisnutzer eine gespeicherte Suche automatisch ihren Dienst verrichten lassen (bis zu zehn Mal täglich statt nur drei Mal wöchentlich).

Fazit: Xing zahlt sich derzeit mehr aus
Insgesamt zahlt es sich für den durchschnittlichen Nutzer im deutschsprachigen Raum heute eher aus, Premium-Mitglied bei Xing zu werden als bei LinkedIn. Xing ist günstiger, bietet für die meisten die wohl interessantere Zielgruppe und hat mit seinem neuen Vorteilsprogramm für Club-Mitglieder einen echten Vorsprung. LinkedIn sind derzeit spezielle Kunden wie Recruiter und Firmen wichtiger, für die eigene, sehr teure Abos (300 Euro pro Monat und mehr) geschnürt werden. Außerdem stößt man bei LinkedIn weniger häufig an die Grenzen des Gratis-Accounts, weil etwa einige Funktionen wie Referenzen anderer Nutzer oder die Anzeige von Profilbesuchern teilweise gratis ist – deswegen ist die Notwendigkeit, für LinkedIn zu zahlen, einfach nicht so groß wie bei Xing.

Vortrag: Am 11.11. spreche ich bei den Tech Natives über das „Phänomen Social“


Am kommenden Montag, dem 11. November, halte ich im Rahmen der Veranstaltungsreihe Tech Natives einen Vortrag zum Thema “Phänomen Social” – bei mir wird es um die mysteriösen Trendwörter WhatsApp, Snapchat, Phubbing, Selfies und Sticker gehen. Außerdem werden der Online-Strategie Jürgen Haslauer, der Politologe Asiem El Difraoui und Marketing-Expertin Katrin Kneissl zum Thema sprechen. Hier nochmal die Eckdaten:

Wo: WKO Wien
Wann: 18:30 Uhr, 11. November
Wieviel: Tickets kosten 59 Euro, Anmeldung hier (mit dem Code 50TN13 um die Hälfte billiger)
Weitere Infos: finden sich hier.

Vielleicht sieht man sich ja!

Mobile Messaging: Diese Comic-Sticker sollen das nächste Millionengeschäft sein

image„Breaking-Bad“-Sticker in der Messaging-App Path

Die Smartphone-Welt treibt wieder einmal bunte Blüten: In Messaging-Apps rund um den Globus poppen immer öfter kleine Stores für virtuelle Sticker auf. Die von japanischen Mangas inspirierten Bilder werden um kleine Beträge verscherbelt und sollen das Kommunikations-Repertoire von Millionen Smartphone-Nutzern erweitern. In Asien wirft das Phänomen bereits Millioneneinnahmen für die Anbieter ab – aber kann das auch im Westen ein Erfolg werden?

Bunte Bilder statt vieler Worte
Ein kleiner Fuchs, der dem Betrachter mit einem Bierkrug und einem Grinser im Gesicht zuprostet. Ein Häschen im Halloween-Kürbis-Kostüm, das fröhlich zuwinkt. Oder ein Bär, der einem blauen Schmetterling nachjagt. Wer dieser Tage mit Freunden auf der ganzen Welt am Smartphone chattet, der bekommt neben getippten Texten und Emoticons möglicherweise auch digitale Bildchen wie diese zugeschickt. “Sticker” heißen die Comic-Illustrationen in der Fachsprache und sind dafür gedacht, dass Smartphone-Nutzer ihren Gefühle und Geschichten mehr Ausdruck verleihen können als mit Buchstaben und Zeichenkombinationen.

So weit, so gut – menschliche Kommunikation im digitalen Zeitalter nimmt die unterschiedlichsten Formen an, denken Sie nur an den kurz gehypten Zufalls-Videochat
Chatroulette, das Selfie-Phänomen, Sexting bei Snapchat oder den Phubbing-Trend. Doch das noch Verrücktere an den Stickern ist: Er beschert Internet-Unternehmen in Asien bereits Millionenumsätze und wird nun auch im Silicon Valley als Monetraisierungsmöglichkeit für Mobile Messaging angesehen.

Der Trend kommt (natürlich) aus Japan
Die südkoreanische Firma
Naver, den den höchst erfolgreichen Mobile-Messaging-Dienst Line betreibt, hat kürzlich bekannt gegeben, mit den besagten Stickern pro Monat mehr als zehn Millionen Dollar zu verdienen. Sie verkauft ihren Nutzern, die ihren mehr als 230 Millionen Nutzern etwa 5000 verschiedene Sticker (ein Set mit 40 Stück kostet ca. 1,80 Euro) anbietet.

Diese Sticker erinnern natürlich stark an die japanischen Manga-Comics und dürften vor allem einer jungen Zielgruppe gefallen. Line ist heute nicht mehr die einzige App, die virtuelle Comic-Bilder verkauft:
Kik (90 Mio. Nutzer, aus Kanada), KakaoTalk (90 Mio. Nutzer, aus Südkorea), WeChat (300 Mio. Nutzer, China), Hike (5 Mio. Nutzer, Indien) oder Viber (200 Mio. Nutzer, Israel) sind mittlerweile ebenfalls in das Geschäft eingestiegen.
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Sticker in der Messaging-App Line

Westen kocht Erfolgsrezept nach
Der Trend hat sich natürlich auch bis ins Silicon Valley herumgesprochen. Um den aufstrebenden Messaging-Apps den Wind aus den Segeln zu nehmen – sie graben ordentlich junge Nutzer ab -, hat Facebook ebenfalls einen
Online-Shop für Sticker eröffnet. Und das Mobile Social Network Path will ebenfalls mit den Comic-Bildchen Geld verdienen.

These are pieces of art to be used in messaging. They are expressive and fun, and they communicate what words can’t. You can choose what speaks to you, and speaks best on your behalf: a fist bump, over-caffeination, jealousy, big love”, schreibt die Firma im offiziellen Blog. “We’ve given you two free sticker packs designed in-house and we’ve worked with some of our favorite artists, like David Lanham, Hugh MacLeod, and Richard Perez, to create packs that you can buy in the Shop.
http://www.blogcdn.com/www.engadget.com/media/2013/03/path-3.jpg
Sticker aus dem Shop zum Chatten in der App Path

Wenn Werbung nicht mehr zieht
Dass gerade auf “Mobile” und “Social” spezialisierte Firmen in dieses für Außenstehende irre erscheinende Geschäft mit den Stickern einsteigen, hat bei näherer Betrachtung gute Gründe. Smartphone-Anwendungen und insbesondere Messaging-Apps lassen sich eher schwer durch Werbung monetarisieren – zu intim ist die Kommunikationssituation, um dort mit Werbebotschaften hinein zu platzen. Deswegen müssen die Anbieter anderswie an Einnahmen kommen – etwa, indem sie virtuelle Güter an die Nutzer verkaufen. Am Desktop hat das eine Zeit lang sehr gut in Facebook-Spielen funktioniert, wo sich Nutzer um Milliarden Dollar digitale Kühe und Traktoren kauften, um bei FarmVille schneller weiter zu kommen – in der mobilen Welt geht es aber eben weniger um Games als vielmehr ums Chatten.

Zudem ist mobile Kommunikation stark bildlastig, weil das Tippen auf Touchscreens unterwegs nach wie vor mühsam ist und man mit Fotos schneller und einfacher vorankommt – Instagram lebt stark von diesem Phänomen, die Popularität von Emoticons erklärt sich daraus ebenfalls. Sticker geben dem Nutzer da die Möglichkeit, schnell in einem Bild auszudrücken, was er gerade denkt oder fühlt, ohne einen Schnappschuss machen oder gar schreiben zu müssen. Und dass die Sticker ziemlich kindisch aussehen, ist ob der jungen Nutzerschaft, denen man damit kleine Beträge aus der Tasche ziehen kann, auch nicht verwunderlich.

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Sticker-Shop bei Facebook

Bald bei WhatsApp und Snapchat?
Spannend wird sein, ob die beiden populären Mobile-Messaging-Dienste
WhatsApp und Snapchat ebenfalls auf Sticker setzen werden – immerhin suchen beide Firmen nach Finanzierungsquellen abseits von Werbung, zu deren Zweck Nutzerdaten ausgewertet werden. Und dann ist da noch die Frage, ob die Comic-Bilder im Westen überhaupt ein Renner werden können oder eher nur Nutzern in Asien etwas wert sind. Vieles spricht dagegen – doch an den Erfolg von Auto-Aufklebern, Ansteck-Buttons oder Kaffeetassen mit lustigen Sprüchen haben am Anfang wohl auch die wenigsten geglaubt. Oder man denke an das Business mit Klingeltönen, Wallpapers und Handyhüllen. Das Bedürfnis des Menschen nach immer neuen Ausdrucksmöglichkeiten ist immerhin nahezu unendlich – da haben ein paar Euro für virtuelle Smartphone-Sticker vielleicht auch Platz.

Österreichs Start-up-Szene: Der steinige Weg aus dem langen Schatten Berlins

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Florian Geschwandter, Start-up-Rolemodel und Runtastic-CEO

Von einer “Aufwärtsspirale für die Start-up-Szene” sprechen Andreas Tschas und Jürgen Furian, die beiden Veranstalter des Pioneers Festival. 2500 Gäste aus In- und Ausland konnten sie diese Woche in die Wiener Hofburg locken, wo diese Vorträgen, Pitches und Präsentationen von Internet-Unternehmern (z.B. Phil Libin von Evernote, Charles Adler von Kickstarter), Tech-Pionieren (etwa Anthony Evans, Glowing Plant Project oder Nathan Harding von Ekso Bionics) und Investoren (z.B. Dave McLure, 500Startups) lauschen und sich in zahllosen Gesprächen zwischendurch austauschen konnten. 670 Start-ups, vorwiegend aus Mittel- und Osteuropa, haben sich für den Start-up-Wettbewerb Pioneers Challenge (Gewinner: Babywatch aus Kroatien) beworben, und viele von ihnen sind nach Wien gekommen. Doch wenn das Kopfweh nach den Pioneer-Partys gewichen ist, muss sich Österreich die Frage stellen: Was wird bleiben von der Aufbruchstimmung?

Die österreichische Start-up-Szene ist 2013 definitiv in Schwung gekommen. Die Fitness-App-Macher von Runtastic schafften mit dem 50,1-Prozent-für-Millionen-Euro-Investment durch Axel Springer einen internationale beachteten Teil-Exit, die Flohmarkt-App Shpock (ebenfalls mit einem Millionen-Investment durch Schibsted geadelt) findet europaweit als mobile eBay-Alternative Beachtung, das “Google für Ärzte” Diagnosia sicherte sich eine Mio. Euro Förderung, und das Business-Netzwerk Xing leistete sich für 3,6 Mio. Euro die Jobbwertungs-Plattform Kununu. Dutzende andere Start-ups (MySugr, Locca, Senoi, Codeship, Blossom.io, Zoomsquare, Usersnap, Wikidocs, Indoo.rs, LineMetrics oder Tractive, um nur einige zu nennen) rittern bereits in der zweite Reihe um Nutzer, Aufmerksamkeit und Investorengeld. Und Business Angel und Investoren wie Hans Hansmann oder Oliver Holle (SpeedInvest) werden regelrecht mit neuen Ideen und Businessplänen überhäuft.

Im Hauptabendprogramm
Als Sahnehäubchen für das Jungunternehmer-Jahr startet schließlich die Pro7-Tochter Puls 4 die Start-up-Show “2 Minuten 2 Millionen”, wo ab 15. November etwa 40 Gründer um die Gunst des Publikums und der Investoren-Jury rittern werden. Wie auch Axel Springer oder Deutsche Telekom sieht die ProSiebenSat.1 Media AG das Start-up-Thema als Investition in die eigene Zukunft – immerhin will sie über die TV-Show frühe Anteile an später möglicherweise erfolgreichen Start-ups abgreifen. Auch österreichische Medien wie die Mediaprint oder der Styria-Verlag drängen weiter in das neue Gebiet vor, erhoffen sie sich doch, dort zusätzliche Monetarisierungsformen für das lahmende Print-Geschäft zu finden.

Doch so stark sich die Wirtschaft dem Thema öffnet (auch die Telekom Austria fördert Start-ups im kleinen Rahmen), so wenig hört man von der Politik – und dass, obwohl laut der Interessensvertretung “Internetoffensive Österreich” die Informations- und Telekommunikationstechnologie mit neun Prozent des BIP ein wichtigerer Wirtschaftsfaktor als der Tourismus für Österreich ist. Einer Google-Studie zufolge sind 5,6 Prozent der Wertschöpfung ganz grob dem Internet zuzurechnen (mitgezählt werden da auch verkaufte Computer etc.), und kein anderer Sektor kann so hohe Wachstumszahlen wie die IKT vorweisen. Trotzdem muss man sich in Österreich das Wehklagen der Investoren anhören, die ihr Geld rein steuerlich gesehen besser in England oder Skandinavien aufgehoben sehen, weil sie in Österreich ziemlich draufzahlen – eine Innovationsbremse. Immerhin: Um staatliche Fördergelder ist es in Österreich gut bestellt, sofern man sich seinen Weg durch den “Förderdschungel” bahnt.


Werbevideo der Stadt Wien, made by Dreama TV

Politik verkennt das Potenzial
Anders als in anderen Ländern schläft die Politik in Österreich noch in Sachen Start-ups. Anstatt sich über intelligente Maßnahmen Gedanken zu machen, wie man Investitionen ankurbelt, Talente ins Land bekommt bzw. sie hier halten kann und die Ausbildung weiter verbessert, drehen sich die Koalitionsverhandlungen stark um Pensionen, Steuern und Verwaltungsreform. Pendants zu deutschen Politikern wie Angela Merkel, die über Industrie 4.0 spricht, Ex-Wirtschaftsminister Philip Rösler, der ins Silicon Valley reist, oder Klaus Wowereit, der Berlin zur führenden Start-up-Metropole Europas machen will, gibt es in Österreich (noch) keine.

Während Merkel große IT-Messen eröffnet, kam auf die Bühne des Pioneers Festival gerade einmal Sybille Staudinger aus dem Gemeinderat der Stadt Wien. Einen Politiker wie Israels 90-jährigen Präsident Schimon Peres, der über Nanotechnologie und Robotik spricht und sich mit Mark Zuckerberg trifft? Gibt es in Österreich nicht. Die kleinen Hoffnungen der Branche für die anstehende Regierungsperiode: Die neue kleine liberale Parlamentspartei NEOS und der 27-jährige Sebastian Kurz der konservativen Wirtschaftspartei ÖVP, bisweilen Staatssekretär für Integration. Was sie aus dem “Visionspapier”, dass die Initiative AustrianStartups im November an alle Parteien übergeben will, machen werden (können), muss man abwarten.

„Die werden typisch österreichisch nur ein bissl machen, aber es wird zu langsam und zu wenig sein, um durchschlagenden Erfolg zu haben“ so der bekannte österreichische Business Angel Hans Hansmann (Runtastic, Shpock, Whatchado, etc.) im Horizont-Interview über die nächste Bundesregierung. “Mein Ansatz ist: Wir können international nur kompetitiv sein, wenn wir unglaublich viel in Innovation investieren. In Asien oder Südamerika gibt es viel mehr Menschen, die für viel weniger Geld viel mehr arbeiten und genauso gut ausgebildet sind. Da haben wir keine Chance mehr, wir können das nur mehr ausgleichen durch Innovation. Und diese revolutionäre Innovation findet zu einem Großteil in Start-ups statt. Das ist Hochrisiko, und das muss der Staat fördern – so, wie es bereits in England, Skandinavien oder auch Deutschland bereits gemacht wird.”

imageHans Hansmann, Österreichs Vorzeige-Business-Angel

Rückstand nur schwer aufholbar
Auch 2013 wird Wien sich nicht zu einer Start-up-Hauptstadt für den CEE-Raum aufschwingen können, wird Österreich immer noch nicht zu einem “Silicon Alps” – egal, wie oft diese Idee herbeigeredet wird. Um kreative Köpfe aus dem Osten, wo derzeit viel Innovatives entsteht, nach Österreich zu locken, reicht es nicht, schicke Werbevideos über Wien zu drehen und die sicher tolle Lebensqualität der Stadt zu preisen. Jungunternehmer, Entwickler oder Designer aus dem Osten brauchen konkrete finanzielle Anreize, um ins nicht unbedingt günstige Wien zu kommen. Und wohlgemerkt: Österreichs größter Start-up-Erfolg des Jahres, Runtastic, sitzt nicht in der Bundeshauptstadt, sondern in der 6600-Seelengemeinde Pasching.

Wenn die Politik nicht mitmacht, wird Wien weiter Boden verlieren, während andere voranpreschen. Die Start-ups, die es international schaffen wollen, werden weiterhin großteils nach Berlin, London oder San Francisco auswandern und sich ausländische Investoren suchen – und das als Gründer aus einem Land, dass das zweitreichste der EU ist.

Anonymität vs. Facebook: Wie im Netz Hass-Postings gebändigt werden sollen

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Wie sollen und dürfen wir künftig im Internet unterwegs sein: Mit dem Namen, den uns unsere Eltern gaben und der im Reisepass steht? Oder mit dem, den wir uns selbst gegeben haben? Um diese Frage tobt vor allem in Bezug auf Kommentare bei Online-Zeitungen in Österreich, aber auch Deutschland und den USA eine heftige Debatte. Die Diskussion wird dabei nicht immer sachlich geführt wird, sondern ist von politischen Anschauungen und wirtschaftlichen Interessen geprägt.


Medien kämpfen mit Foren-Trollen
In Österreich debattieren Medienmacher (darunter etwa Vertreter von
DerStandard.at, ORF-Moderator Armin Wolf oder Falter-Autorin Ingrid Brodnig) derzeit intensiv das Thema “Anonymität im Internet”. Im DerStandard-Forum mit bis zu 20.000 Kommentaren pro Tag finden sich immer wieder Postings, die rassistisch, sexistisch oder anders verletzend sind. Online-Medien entwickeln immer neue Strategien, um den aggressiven und beleidigenden Postings Herr zu werden. Kommentare unter bestimmten Artikeln werden abgedreht; einzelne Postings werden gelöscht; die Huffington Post will nur mehr Klarnamen zulassen und Nutzer zur Registrierung mit Facebook zwingen; andere Medien wie DerStandard.at oder Zeit Online setzen auf verstärkte Moderation. Folgende Punkte sind für die Debatte rund um Anonymität und Klarnamen essenziell:

1. Online Disinhibition Effect: Der Psychologe John Suler hat den Online-Enthemmungs-Effekt im Internet bereits 2004 in einer Studie beschrieben (kostenpflichtiges PDF). Laut Suler fehlt bei der Online-Kommunikation direktes Feedback, das wir in der Offline-Welt immer bekommen – wir sehen etwa, wenn sich jemand gekränkt fühlt, errötet, vor Zorn rot anläuft und so weiter. Im Netz, wo wir auf Bildschirme und darauf dargestellte Wörter starren, fehlt dieses Feedback. Anonymität, Unsichtbarkeit, Ungleichzeitigkeit oder das Fehlen einer Autorität würden enthemmte Kommentaren, die andere beleidigen oder kränken, begünstigen, so Suler. Dass Menschen im Netz anonym sein können, ist also nur einer von mehreren Faktoren des Enthemmungs-Effekts.

2. Pseudonyme: Wie die Anbieter des Kommentar-Systems Disqus herausgefunden haben wollen, sind Nutzer von Pseudonymen (Nicknames) jene, die die meisten Kommentare schreiben (61 %, Klarnamen: 4 Prozent, anonyme Poster: 35 Prozent). Wer viele Kommentare auf seiner Seite haben will, sollte demnach pseudonyme und anonyme Postings erlauben.

3. Facebook Comments: Eine neue Studie (PDF) des britischen Forschers Ian Rowe, Professor an der Londoner University of Kent, ist zu dem Schluss gekommen, dass es bei Facebook Comments, einem kostenlosen Kommentarsystem, in dem man nur mit einem Facebook-Account schreiben kann, zivilisierter zugeht als unter den Online-Artikeln der “Washington Post”, wo anonym gepostet werden kann. The occurrence of uncivil communicative behaviour in reader comments is significantly more common on the website version of the Washington Post where users are able to maintain their anonymity, compared to the Facebook version of the Washington Post where commenters are identified with, and accountable for, the content they produce”, so Studienleiter Rowe. Secondly, the uncivil and impolite behaviour that was identified on the Washington Post website was significantly more likely to be directed towards others participating in the discussion, compared to the Washington Post Facebook page where instances of incivility and impoliteness were less likely to be interpersonal, and more likely to be aimed at individuals not involved in the discussion, or used as a way to articulate an argument, rather than offend others.”

4. Auswirkungen auf Artikel: Forscher der Universität Wisconsin haben herausgefunden, dass negative Online-Postings zu journalistischen Texten Einfluss auf die Wahrnehmung des Leser des Artikels haben können (NYT-Bericht). Leser würden einen Bericht als negativer empfinden, wenn darunter aggressive Psotings zu lesen sind.

5. Social-Login-Systeme: Kommentar-Systeme wie Disqus, Lifefyre, IntenseDebate oder Gigya, die Online-Medien oder Blogger unter ihre Artikel hängen können, setzen stark auf die Login-Systeme von Google, Facebook und Twitter. Auch sie versprechen, dass sich u.a. dadurch die Qualität der Diskussion verbessern soll. Zwar werden auch andere Logins z.B. via LinkedIn, AOL, Yahoo oder E-Mail angeboten, doch die drei erstgenannten Web-Firmen dominieren immer das Netz (und v.a. Mobile) immer stärker. Social Logins sind zwar bequem für die Registrierung auf einer neuen Seite (anstatt einen neuen Account anlegen zu müssen, verknüpft man seinen Facebook-, Twitter- oder Google-Account mit wenigen Klicks mit der neuen Seite), schließen aber viele Menschen von der Nutzung aus. In Österreich haben etwa 40 Prozent der Bevölkerung einen Facebook-Account, in Deutschland etwa 35 Prozent. Viel mehr Internetnutzer aber haben einen E-Mail-Account.

6. Ventilfunktion: Kaum beleuchtet ist die These, ob Online-Foren als Ventil dienen können. Denkbar wäre, dass Menschen in anonymen Postings virtuell Dampf ablassen, anstatt im Realen andere zu beleidigen oder anzugreifen. Spannend ist auch der Gedanke, den der deutsche Soziologie Stephan Humer über anonyme Hass-Postings formuliert hat: “Man sieht viel eher den echten Menschen, weil er sich nicht mehr bemühen muss, die Regeln, die seine echte Identität verlangen würde, zu erfüllen”, so Humer zu futurezone.

7. Trollen unter Klarname: Die Nutzung echter Identitäten sind kein Garant für einen zivilisierten Umgangston in Online-Foren. Einschlägige Postings etwa auf Facebook-Seiten der FPÖ, aber auch der Occupy-Bewegung zeugen davon.

8. Identitätskontrolle: Online-Medien, die auf echte Identitäten bestehen – die Huffington Post etwa will dadurch die Qualität der Kommentare heben -, stehen vor einem Problem: Außer mit einer Ausweiskontrolle ist die Klarnamenpflicht nicht umsetzbar. Bei Facebook sind Menschen tendenziell mit echtem Namen angemeldet, wenn auch etwa zehn Prozent der Profile gefälscht sind oder erfundene Namen (Psyeudonyme) haben. Mit einer beliebigen E-Mail-Adresse und einem gestohlenen Foto lässt sich in wenigen Minuten ein Fake-Profil erstellen. Der fortlaufende Betrieb eines Fake-Profils ist nicht einfach (Facebook prüft, ob sich das Profil “menschlich” verhält und nicht etwa zum Spammen dient), aber möglich.

9. Anonymität als Schutzschild: Die Möglichkeit auf anonyme Postings ist in einigen Bereichen wichtig. “Dass ein Klarnamenzwang die Qualität der Debatte erhöht, ist ein weit verbreiteter Glaube. Sicher wissen wir aber nur, dass ein solcher Zwang Nachteile mit sich bringt”, schreibt dazu Juliane Leopold, Social-Media-Redakteurin bei Zeit Online. “Leser werden ihre vertraulichen Informationen nicht unter Klarnamen teilen. Wer zum Beispiel auf seinen Verdienst als Leiharbeiter bei Amazon angewiesen ist, wird über die prekären Arbeitsbedingungen dort sicherlich nicht öffentlich schreiben, wenn ihm der Schutz der Anonymität verweigert wird. Viele internetversierte Menschen achten außerdem penibel darauf, was mit ihren Daten geschieht. Diese “digitale Bohème” verlieren Sie für Ihre Community, wenn Sie von ihr verlangen, sich unter Klarnamen zu registrieren.”

10. EU-Datenschutzverordnung: Wenn die neuen EU-Datenschutzregeln so umgesetzt werden, wie sie heute am Tisch liegen, dann müssen Internet-Dienste ihren Nutzern die Möglichkeit einräumen, sie anonym oder mit Pseudonym nutzen zu können. Klarnamenzwang bei Postings wäre dann nicht erlaubt (PDF, Seite 225).

eBay, Spotify, LinkedIn: Warum alle einen News Feed wie Facebook haben wollen

Nummer US 8171128 B2. Dieses Patent gehört seit dem August 2006 Facebook und beschreibt die Funktion des News Feed – jener zentralen Spalte im Online-Netzwerk, die uns täglich die wichtigsten Updates unserer Freunde und Fan-Seiten präsentieren soll. Diese Funktion ist so mächtig geworden, das nahezu alle anderen Social-Web-Dienste ebenfalls einen News Feed haben wollen. Es geht um die Personalisierung von Content.

Der News Feed von Facebook erinnert mich – natürlich wegen des Worts “Feed” – immer an einen Stall: Die Kühe stehen in einer Reihe mit den Köpfen zu den Futtertrögen und warten, bis diese von einer Maschine gefüllt werden. Bei Facebook ist das nicht viel anders: Täglich loggen sich Hunderte Millionen Menschen ein, und schauen, was der News Feed (also die breite Spalte in der Mitte) so an Meldungen vorbeispült. Aber nicht nur bei Facebook, auch anderswo sollen wir künftig auf diese Art und Weise mit Neuigkeiten gefüttert werden.

Personalisierte Neuigkeiten seit 2006
Kürzlich ist mir eine Presseaussendung des Online-Marktplatzes eBay, die größtenteils ohne Widerhall blieb, ins Auge gestochen. Darin steht: “Der internationale Online-Marktplatz eBay macht mit der neuen, personalisierten Startseite das Einkaufen ab sofort noch einfacher und persönlicher. Mittels eBay-Feed werden jedem eBay-Nutzer individuelle Angebote angezeigt – den jeweiligen Interessen und Vorlieben entsprechend.” Mit seinen virtuellen Kärtchen, die jeweils ein Produkt präsentieren und von oben in mehreren Spalten in die Webseite hineinregnen, erinnert das natürlich an die Foto-Plattform Pinterest, deren Design von vielen anderen kopiert wird. Bei Google+ etwa gibt es seit dem Sommer drei Spalten, in denen der Content sortiert wird, bei Spotify sind es ebenfalls drei Spalten, in denen der Nutzer neue Alben, Bands oder Konzerte vorgeschlagen bekommt. Auch LinkedIn ist auf den Geschmack gekommen, gleicht in seinem Design immer stärker Facebook und will die Nutzer damit dazu bringen, mehr Statusmeldungen als bisher zu veröffentlichen und auch mehr zu konsumieren.

Bei Facebook dient der News Feed, der seit 2006 kontinuierlich weiter entwickelt, heute als Filter. Pro Tag könnte er ungefilterte 1500 News (Statusmeldungen, Fotos, Videos, Links, Seiten-Updates, etc.) anzeigen, tatsächlich bekommt der Nutzer aber nur etwa 20 Prozent (also 300) Meldungen zu sehen. Der so genannte EdgeRank berechnet auf Basis der Nutzerdaten (Freundesliste, Interaktionen, Likes, Kommentare, Interessen, etc.), welche Meldung wahrscheinlich interessant für den Nutzer ist und welche nicht. Facebook hält zwar das Patent auf die Technologie, doch laut Etsy-Technik-Chef Kellan Elliott-McKrea hatte Yahoos Foto-Plattform Flickr bereits 2004 eine ähnliche Funktion, die Nutzer automatisch über neue Fotos ihrer Kontakte informierte.

Algorithmus als Scheuklappe
Das ist natürlich problematisch für unsere Wahrnehmung, weil ein Algorithmus entscheidet, welche Neuigkeiten wir sehen und welche nicht – Eli Pariser hat deswegen auch das Buch “The Filter Bubble” geschrieben, das vor einer verengten Weltsicht durch Facebook und ähnliche Systeme warnt. Facebook versucht deswegen – leider halbherzig – in einem Blog aufzuklären, wie der News Feed funktioniert. Zuletzt etwa führte man das so genannte “Story Bumping” ein, das alte News, die man vielleicht übersehen hätte, wieder nach oben holt. Das soll dazu geführt haben, dass die Nutzer 70 statt nur 57 Prozent der (wohlgemerkt vorgefilterten) News-Feed-Meldungen gelesen haben.

Trotz aller Bedenken setzt sich das News-Feed-Design im ganzen Web immer mehr durch, und zwar aus folgenden Gründen:

1. Schnelle Info-Häppchen: News Feeds, egal ob bei Facebook, eBay, Spotify oder Google+, sind einfach konsumierbar. Man muss nicht klicken, sondern scrollt sich einfach durch diese unendliche digitale Klopapierrolle, bis man zu den Meldungen kommt, die man schon kennt. Im Stream kann man auch gleich mit dem Content interagieren, ihn sharen, liken, kommentieren oder bei Missfallen verbergen, ohne sich auch nur einmal weitergeklickt haben zu müssen.

2. Bilder, Bilder, Bilder: Der österreichische Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier etwa hat analysiert, dass sich das Medienverhalten der Jugendlichen weg von einer Text-zentrierten Nutzung hin zu einer Bild-zentrierten bewegt. Das Design eines News Feeds kommt dem entgegen, weil die einzelnen Updates sehr einfach mit Bildern anstatt mit Texten befüllt werden können. Jeder Social-Media-Spezialist weiß heute: Wenn die viele Likes bekommen willst, poste ein lustiges Bild. Die Bild-Zeitung heißt ja auch nicht umsonst Bild-Zeitung.

3. Erhöhte Aktivität: News Feeds können dem Nutzer in kurzer Zeit viel Content zeigen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Interessantes dabei ist – der User interagiert, klickt. Der News Feed ist bei Facebook der Hauptgrund, warum die Menschen so viel Zeit in dem Online-Netzwerk verbringen, und neben der Such-Funktion “Graph Search” und den “Timeline”-Profilen der Nutzer eine der drei Säulen von Facebook.

4. Personalisierung: News Feeds bieten Web-Firmen die Möglichkeit, den Content zu personalisieren – also vorzufiltern. Facebook will als “personalisierte Zeitung” (© Zuckerberg) nur relevante News anzeigen, eBay will den Vorlieben des Nutzers entsprechende Produkte präsentieren, LinkedIn passende Stellenangebote usw. Algorithmen bieten die Möglichkeit zur Komplexitätsreduktion, und der Nutzer fühlt sich in der maßgeschneiderten Welt wohl, weil er weniger häufig mit im widerstrebenden Themen konfrontiert wird – so zumindest die Theorie.

5. Mobile: News Feeds sind auch Design-technisch unheimlich praktisch. Die boomenden mobilen Geräte – von Smartphone bis zum Tablet – werden vorrangig im Hochformat (“portrait mode”) gehalten, und da ist ein Stream praktischer als viele Spalten nebeneinander. Das neue Facebook-Design des News Feeds sieht auf kleinen Screens sehr ähnlich aus wie auf großen Desktop-Bildschirmen. In der rechten Spalte sind eigentlich keine wichtigen Elemente mehr, deren Weglassen gar nicht weiter auffällt.

6. Native Adervtising: Last but not least: die Werbung. News Feeds – und das ist wahrscheinlich der Hauptgrund, warum sie so beliebt sind – bieten die Möglichkeit, so genannte native Ads unter den restlichen Content zu mischen. Diese Netzreklame sieht den anderen, unbezahlten Updates sehr ähnlich und unterscheidet sich oft nur durch das kleine Wörtchen “sponsored”. Das ist für die Werbeindustrie ein wichtiger Schritt. Denn bis dato kannte man Online-Werbung zumeist als die Banner und Skyscraper, die oben und rechts an die eigentlichen Webseiten gepappt wurden. Bei Native Advertising wandern die bezahlten Anzeigen in die Mitte der Webseiten und sind laut Anbietern wie Yahoo, Google oder eben Facebook weit weniger störend. Für den Nutzer ist das auch nachteilig, weil er die Werbung nicht mehr so einfach als solche erkennt – hier wird hart an der Grenze zur Schleichwerbung agiert. Oder in den Worten der Nutzungsbedingungen von Facebook: “Du verstehst, dass wir bezahlte Dienstleistungen und Kommunikationen möglicherweise nicht immer als solche kennzeichnen.”

LG G2 im Test: Starker Display-Riese mit leider vermurkster Android-Software

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Es gibt diesen neuen Begriff, der es auch ins Oxford Dictionary geschafft hat: Phablet, halb Phone, halb Tablet. Mit seinem XXL-Display gehört das neue LG G2 (16 GB: ca. 490 Euro, 32 GB: ca. 640 Euro) wohl schon zu dieser Kategorie. Das Gerät, das in Schwarz und Weiß erhältlich ist, weiß mit seiner spitzenmäßigen Hardware-Ausstattung zu überzeugen, gibt sich aber leider einige Blößen bei der Software, wie ich in meinem Testbericht zeige.

1. Die Äußerlichkeiten: Tasten auf der Rückseite
Sie wachsen immer weiter: Das G2, das neue Flaggschiff des südkoreanischen Herstellers LG, gehört mit seinen 5,2 Zoll Bildschirmdiagonale (13,2 cm) zu den größten Smartphones am Markt. Wirkt es anfangs noch zu groß, gewöhnt man sich schnell an das XXL-Handy mit den Maßen 138,5mm x 70,9mm x 9,1mm, das sich in einer durchschnittlichen Jeans-Hosentasche gut ausgeht. Das Plastikgehäuse macht das Gerät mit 145 Gramm (iPhone 5: 112 Gramm) nicht übermäßig schwer und liegt dank abgerundeten Kanten sehr gut in der Hand, ist allerdings aber auch ziemlich rutschig – mir ist das G2 mehrmals aus der Hand geflutscht, hat aber alle Stürze unbeschadet überlebt. Insgesamt ist es mir einen Tick zu groß für die Bedienung mit einer Hand, was man vor allem beim Autofahren merkt – nicht jeder Punkt des Displays ist mit dem Daumen erreichbar.

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Eine Besonderheit hat sich LG mit den
Rear Keys einfallen lassen: Power-Knopf und “Lauter” und “Leiser” sind nicht an den Kanten, sondern an der Rückseite unter der zentrierten Kameralinse zu finden. Das soll laut LG die Lautstärkeregelung per Zeigefinger beim Telefonieren erleichtern – in der Praxis aber war es bei mir so, dass ich die Knöpfe oft falsch ertastet habe und dann statt z.B. ein Video leiser gemacht das Display ausgeschaltet habe. Ein Wort zu den Lautsprechern: Diese sind an der Unterseite zu finden, tönen (für ein Smartphone) sehr laut und klar, werden beim Querhalten des Geräts aber von einer Hand verdeckt.

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2. Das Display: Groß, scharf, schön
Den Power-Knopf auf der Rückseite braucht man aber ohnehin nicht, weil das LG G2 eine tolle Funktion hat: Mit einem Doppeltipper aufs Display weckt man das Gerät auf, mit einem Doppeltipper auf einen freien Platz am Homescreen dreht man es auch wieder ab. Zwar funktioniert das nicht in 100 Prozent aller Fälle, ist aber meiner Meinung nach eine so tolle Funktion, dass ich sie mir auf jedem Handy wünsche. Das Full-HD-Display selbst gehört mit einer Auflösung von 1.920 mal 1.080 Pixel (das entspricht 423 ppi) zu den besten Smartphone-Bildschirmen am Markt. Scharfe Bilder, satte Farben, gute Kontraste – hier gibt es nichts zu meckern. Wer meint, dass 5,2 Zoll zu groß sind, der sollte sie einmal ausprobieren. Ob Webseiten lesen, Videos schauen oder Games spielen, man gewöhnt sich extrem schnell an die Display-Größe. Mein Haupt-Smartphone iPhone 4S (3,5 Zoll) wirkt jetzt wie ein Kinder-Handy auf mich und ist mir nach drei Wochen LG G2 zu klein.

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Interessant ist auch, dass das LG G2 auf so genannte Touch Keys setzt: Anstatt unter dem Display echte Knöpfe zu verbauen, kann man sich virtuelle Buttons für “Zurück”, “Homescreen” oder “Menü” unten in beliebiger Reihenfolge hinlegen. Das ist nicht nur praktisch, sondern sieht auch gut aus, weil das Gerät keinen Platz für echte Tasten vorne verschenken muss.

3. Die Innereien: Starker Prozessor, starker Akku
Im Inneren des G2 verrichtet ein Snapdragon 800, ein Quadcore-Prozessor mit 2,3 GHz von seine Arbeit – LG hat somit den derzeit schnellsten Qualcomm-Chip am Markt verbaut und ihm eine Andreno 330 GPU zur Seite gestellt, und das merkt man auch. Gebräuchliche Apps wie Browser, YouTube, Twitter oder Facebook starten sowieso flottest, aber auch grafisch aufwändigere Spiele wie “FIFA” 14 laufen schnell und ruckelfrei. Wer also gerne mobile Games zockt, liegt beim LG G2 sicher richtig. Das Gerät hat außerdem 2 GB RAM an Bord und wird mit 16 bzw. 32 GB Speicher angeboten, den man nicht erweitern kann.

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Damit das LG G2 auch mit ausreichend Strom versorgt ist, hat es einen vergleichsweis starken Akku mit 3.000 mAh (Samsung Galaxy S4: 2600 mAh) bekommen. Dieser hielt in meiner dreiwöchigen Testphase bei (für mich) normaler Nutzung ca. eineinhalb Tage pro voller Ladung, andere Tester sprechen bei mittlerer Nutzung auch von zwei Tagen. Dafür muss das LG G2 aber auch deutlich länger als mein Haupthandy iPhone 4S an den Stecker, um sich eine volle Ladung zu holen.

4. Die Software: Vermurkstes Android “Jelly Bean”
So gut die Hardware des G2, so schwach die Software. Wie auch andere Hersteller wie Samsung, HTC oder Sony kann es auch LG nicht lassen, an Googles Betriebssystem Android (installiert ist Version 4.2.2) herumzumurksen. Das fängt schon bei den hauseigenen Symbolen für SMS, E-Mail, Notizbuch oder Wecker an, die einfach nicht schön anzusehen sind – welcher Erwachsene braucht eine Smiley-Sprechblase auf gelbem Grund für seine SMS-Nachrichten? Ist schon das “Basic”-Interface nicht unbedingt eine Augenweide, können ganz Wagemutige das Telefonschema auf “Marshmallow” umstellen. Man ahnt es schon: Das G2 verwandelt sich dann in ein rosarotes Manga-Monster, das man nur einem Kind antun will – aber welches Kind bekommt schon ein Highend-Smartphone wie dieses geschenkt?

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Weiter geht es mit hauseigenen Apps und Funktionen, die LG in den Vordergrund drängt. Ob “QSlide” (LG-Apps in einem kleinen Fesnter parallel zu anderen Apps öffnen), “Quick Memo” (Screenshot-App mit Drüberzeichnen-Funktion), “Miracast” (App zur TV-Synchronisation), “QuickRemote” (Smartphone als TV—Fernbedienung) oder “Voice Mate” (Sprachsteuerung) – all diese unnötigen Apps sind so prominent in den Benachrichtigungen platziert, das kaum Platz für die Benachrichtigungen bleibt. Wenig sinnvoll ist auch “Slide Aside”, wo man mit einer Drei-Finger-Wisch-Geste eine App im Hintergrund weiterlaufen lassen kann – leider reagieren Apps auf diese Geste manchmal anders, was insgesamt zu einer inkonsistenten Nutzung führt. Das i-Tüpfelchen sind die vorinstallierten Töne, die die Wiener Sängerknaben eingesungen haben: Wer bitte will sein Telefon mit diesem Klingelton



läuten und sich von diesem Alarm wecken lassen? Ich jedenfalls nicht.

5. Die Kamera: Starke 13 Megapixel
Aber zurück zu einer Stärke des G2: Die verbaute Kamera bietet eine Auflösung von bis zu 13 Megapixel – diese muss man aber erst einstellen und fotografiert dann im 4:3-Format. Wer 16:9-Fotos machen will, muss in den 10-Megapixel-Modus zurück wechseln. In den Kameraeinstellungen kann aber außerdem Helligkeitswerte, ISO-Wert, Weißabgleich oder Geotagging einstellen. Die Bilder, die ich im Normalmodus bei Tageslicht geschossen habe, sind allesamt sehr gut geworden und zeichnen sich durch hohe Farbtreue aus. Bei schwierigen Lichtverhältnissen (z.B. in Lokalen, bei Nacht) werden die Aufnahmen leider nicht immer gut, verwackeln schon mal und werden trotz eingebautem Bildstabilisator unscharf. Testfotos gibt es in diesem Flickr-Album zu sehen.

Fazit: Lieber warten aufs Nexus 5
Insgesamt habe ich beim LG G2 gemischte Gefühle. Das Display ist toll, die Hardware ist flott, die Kamera stark, die Lautsprecher satt – doch bei der Software gibt sich LG Blößen. Bis man das Gerät einigermaßen nach eigenen Vorstellungen eingerichtet hat, braucht es einige Zeit, und die oben beschriebenen LG-Apps wird man auch bei Nicht-Verwendung nicht los – außer, man flasht das Gerät (Achtung Ganrantieverlust!) und installiert sich seine bevorzugte Android-Version. Das LG G2 gehört derzeit sicher zu den besten Android-Smartphones und muss sich vor dem Samsung Galaxy S4 und dem HTC One nicht verstecken.

Doch vor dem Kauf sollte man unbedingt die offizielle Präsentation des bereits geleakten Nexus 5 abwarten: Das Google-Gerät, das LG baut, ist dem G2 in Sachen Hardware sehr ähnlich, wird aber mit der neuesten, unverfälschten Android-Software “KitKat” (4.4) ausgeliefert und zum Kampfpreis von 350 Dollar ohne Vertrag zu haben sein – insgesamt wohl die bessere Wahl.

Disclaimer: Das Testgerät wurde mir von der Wiener Agentur von LG, Liechtenecker, für drei Wochen zur Verfügung gestellt und natürlich wieder zurückgegeben.

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So geht Mobile News: Circa weist Medien den Weg in die Smartphone-Zukunft

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Mobile first, touch first, content first: In San Francisco hat sich eine kleine Firma auf Mobile News spezialisiert. Während Zeitungen in Europa meist von dem Kampf sprechen, die vielen Online-Inhalte auf den kleinen Smartphone-Displays unterzubringen, macht Circa die Not zur Tugend und schneidert die Nachrichten ganz gezielt auf den schnellen und einfachen Konsum unterwegs zu. Dabei entstehen Funktionen, die sich andere Medien genau ansehen sollten.

Ich probiere ja immer gerne mal neue Apps und Start-ups aus. Zum Beispiel die Messaging-App Snapchat (Bericht hier), den Android-Assistenten Google Now (Test hier) oder das Mode-Start-up Outfittery (Review hier). Doch eine App hat seit einigen Wochen einen Fixplatz auf dem Homescreen meines Smartphone: Circa. Kostenlos erhältlich für iPhone und Android, hat sich die junge Firma aus San Francisco auf Mobile News spezialisiert. Gegründet wurde Circa vom Ex-Journalisten Ben Huh, der Katzenbilder und andere Spaß-Meme mit dem Cheezburger Network groß gemacht hat, und Matt Galligan, der seine Firma Socialthing 2008 an AOL verkaufte. Zusammen mit einer kleinen Redaktion, die sich um den Globus verteilt, machen sie jetzt täglich Circa-News, und zwar ausschließlich in der Smartphone-App.

Als Nutzer kann man sich am Touscreen so sehr einfach durch die Themengebiete “Politics”, “World”, “United States”, “Technology” und “Science & Health” wischen, unter “Top Stories” finden sich die wichtigsten Geschichten zusammengefasst. Die Aufgabe des kleinen Redaktions-Teams ist es derzeit, nicht selbst zu recherchieren, sondern andere Quellen zu schnell konsumierbaren Artikeln zusammenzufassen. Dafür hat Circa drei Kernfunktionen entwickelt, die spannend sind.

1. Points: Die Artikel bei Circa setzen sich aus vielen kleinen “Points” zusammen, also Informationseinheiten, die zusammen genommen die Story bilden. Ein Point kann ein Bild, ein Video, ein Link, ein Tweet, ein Zitat, eine Ortsinformation, ein Absatz sein. Die Redakteure können etwa einen Ausschnitt der Google Maps passend zum Ort des Geschehens einbetten oder einen Tweet als Zitat einblenden. Die einzelnen “Points” können so auch für andere Artikel verwendet werden, aber noch viel wichtiger: Bei aktuellen Entwicklungen kann Circa bestehende Storys schnell um einen Point erweitern, wenn es eine neue Entwicklung gibt. Diese Strukturierung von Texten ist vor allem für Agenturjournalisten nichts neues, findet bei Circa aber einen neue technische Entsprechung. Die App-Macher sprechen von “object oriented journalism”, bei dem Nachrichten in ihre Einzelbestandteile zerlegt werden Motto (“we atomize news”).

2. Follow: Circa hat sich wie viele andere Firmen auch das Follow-Prinzip von Twitter zu eigen gemacht. Als Nutzer der App kann man so einer einzelnen Story folgen, z.B. der Haushaltsdebatte in den USA, Apples iPad-Präsentation oder den Snowden-Leaks. Das klingt ein wenig langweilig, ist es aber nicht. Denn während man auf Twitter Journalisten oder Medien folgt, die über verschiedene Storys tweeten, die nicht notwendigerweise immer interessieren, kann man Circa stark auf die eigenen Interessen zuschneiden und nur jene News abonnieren, die man spannend findet. Für die Circa-Redakteure sind die Follow-Zahlen zu einem Artikel wichtige Indizien, ob sie mit der Auswahl ihrer Storys richtig gelegen sind oder nicht – niedrige Follow-Zahlen bedeuten wenig Interesse am Thema.

3. Notifications: Aus dem Zusammenspiel von Points und Follow ergibt sich für Circa die Möglichkeit, Nutzer in Echtzeit über neue Entwicklungen zu Themen, die sie interessieren, per Push-Notificaiton zu informieren. Am Smartphone fühlt sich das quasi wie eine SMS an, die über neue Vorgänge alarmiert, und für Circa ist es möglich, die News schneller als andere Apps zu verbreiten. Die Funktion lässt sich natürlich auch abdrehen, nicht jeder ist ein News-Junkie, der in der Sekunde des Geschehens auch darüber informiert werden will.

Derzeit ist Circa gratis nutzbar und werbefrei – vor allem deswegen, weil namhafte Investoren wie Tumblr-Gründer David Karp, Path-Gründer Dave Morin oder WordPress-Initiator Matt Mullenweg insgesamt 2,4 Millionen Dollar Risikokapital in die App gepumpt haben. Interessanterweise will Circa die Nutzer künftig nicht zur Kasse bitten, sondern andere Geldquellen aufmachen. Zum einen Werbung, die nach dem derzeit hippem “Native Advertising”-Dogma möglichst harmonisch in den restlichen Content eingebettet werden soll, zum anderen über Lizensierungen der Software für andere Firmen.

Messaging-App Snapchat: Der geplatzte Traum von sich selbst zerstörenden Fotos

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Einen “digitalen Radiergummi” hat der österreichische Politikwissenschaftler Viktor Mayer-Schönberger, der heute in Oxford lehrt, schon 2009 in seinem Buch “Delete” gefordert – also die Möglichkeit, Daten über Personen und Ereignisse löschen zu können und nicht ewig und für alle abrufbar auf die Server von Google, Facebook und Co. zu bannen. Zwei Studenten der Universität Stanford haben mit Snapchat eine Smartphone-App (gratis für iPhone und Android) gebaut, mit der man Fotos und Videos an andere Nutzer senden kann, die sich nach wenigen Sekunden wieder löschen – zumindest in der Theorie.

Fotos, die sich selber löschen…
Auf das freche Gespenst auf gelbem Grund tippen, einen Empfänger aussuchen, Foto knipsen und dann noch einstellen, wie lange der Kontakt es auf seinem Smartphone ansehen darf, fertig – schon ist ein so genannter, sich selbst nach maximal 10 Sekunden zerstörender “Snap” verschickt (gleiches lässt sich mit kurzen Videos machen). Die Snapchat-Macher stellen sich gerne als Antithese zu Facebook dar, das dafür berüchtigt ist, Nutzerdaten nicht von den Servern zu löschen und noch drei Monate nach dem Löschbefehl auf den Servern zu haben.

It is deeply important to recognize the harm that permanent media can bring—and that this harm is not evenly distributed”, schreibt der selbst ernannte Social-Media-Theoretiker Nathan Jurgenson, der an einer Dissetation über Überachung und Social media schreibt, im Snapchat-Blog. “Those with non-normative identities or who are otherwise socially vulnerable have much more at stake being more likely to encounter the potential damages past data can cause by way of shaming and stigma. When social media companies make privacy mistakes it is often folks who are not straight, white, and male who pay the biggest price.” Jurgenson plädiert für “temporary social media”, also “vergängliche soziale Medien”, die vergessen können und Daten ein Ablaufdatum verpassen.


Screenshots unterwandern die Idee
In den USA ist Snapchat besonders bei jungen Nutzern beliebt, die leichtgläubig auch heikle Bilder (z.B. Nacktfotos) verschicken – als so genanntes “Sexting” (Kunstwort aus “Sex” und “texting”) machen. Doch so wie mit allen digitalen Dingen sind die versendeten “Snaps”, wie die Mitteilungen auch genannt werden, natürlich nicht endgültig gelöscht. Zum einen kann man die gelöscht geglaubten Fotos auf Android-Smartphones mit der richtigen Software wieder herstellen, wie der IT-Forensiker Richard Hickman festgestellt hat, zum anderen können die Empfänger ganz einfach einen Screenshot von der Nachricht machen. Dann gibt es auch noch Apps von Drittanbietern (z.B. SnapHack), die versprechen, die Fotos und Videos vor der Löschung zu speichern. Und schließlich wurde auch noch bekannt, dass US-Fahnder bereits Dutzende Male ungeöffnete Snaps, die noch auf den Servern von Snapchat waren, eingesehen hat.

So kommt es, dass in Blogs wie “Snapchat Sluts” (mittlerweile von Tumblr gelöscht) Nacktfotos von Snapchat-Nutzerinnen veröffentlicht werden, die wohl eigentlich dachten, das die pikanten Bilder im digitalen Nirvana verschwinden. Snapchat wird das Problem der Screenshots nicht lösen können, ohne in fundamentale Funktionen von mobilen Betriebssystemen einzugreifen – ein äußerst aussichtsloses Unterfangen. Interessant hinsichtlich der Lösch-Funktion ist auch, dass die Macher die Ablaufzeit kürzlich erweitert haben: Mit der
neuen Funktion “Stories” bleiben Fotos ganze 24 Stunden erhalten – offenbar sind zehn Sekunden nicht genug.

Nutzer bald zur Kasse bitten
Trotz aller Probleme: Mit 860 Millionen US-Dollar evaluieren Risikokapitalgeber die kleine, etwas mehr als zwei Jahre alte Firma, die derzeit mehr als 350 Millionen Fotos pro Tag versendet. Denen gefällt an Snapchat aber nicht, dass sich die versendeten Nachrichten wieder löschen, sondern die Vermarktungsmöglichkeiten. Noch ist Snapchat gratis, aber künftig könnten Zusatzfunktionen (z.B. Foto-Filter, virtuelle Sticker) als In-App-Kauf angeboten werden, oder personalisierte Werbebotschaften unter den Nutzer-Content gemischt werden. Snapchat hat damit bereits begonnen: In der App gibt es bereits einen direkten Empfehlungslink in den Play Store von Google, wo man gleich das Album “Embrace” der Band Goldroom kaufen soll.

Bye bye, US-Cloud! 6 Menschen, die Konsequenzen aus NSA-Skandal ziehen

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Zum Prism-Skandal und der Überwachung unserer Internetaktivitäten durch US- und britische Geheimdienste gibt es viele Meinungen – die einen sehen darin den größten Skandal der letzten Jahre und eine Gefahr für die Demokratie, die anderen zucken mit den Schultern und meinen: “Ich hab ja eh nichts zu verbergen.” Meinungen dazu hört man überall, aber wer hat eigentlich eine Konsequenz aus der NSA-Überwachung gezogen? Diese sechs Menschen haben ihr Nutzungsverhalten in Folge der Snowden-Enthüllungen geändert:

Mark Kramer, Mobile Monday Austria: WordPress statt Tumblr
„Früher habe ich Tumblr als aggregierten „social media stream“ für meine öffentlichen Postings genutzt, die ich geteilt habe. Ich habe Fotos von meinem Handy, Songs von Spotify, und meine Location von Foursquare, etc. auf Tumblr gepostet. Gelegentlich habe ich ein paar Gedanken verfasst, aber Tumblr war in erster Linie eine Curation-Plattform für mich. Ich mochte Tumblr, bis es von Yahoo! erworben wurde. Vor kurzem habe ich beschlossen, mein Tumblr-Konto zu löschen, weil ich kein Vertrauen in Yahoo! habe. Ich traue Yahoo! nicht, weil ich den Eindruck habe, dass Yahoo! am NSA-Prism-Programm teilnimmt. Wenn Yahoo! ein Partner von PRISM ist, dann frage ich mich: Wie wird Yahoo! mein Tumblr-Konto verwenden? Es ist eine Frage des Prinzips. Ich glaube, dass jeder Mensch durch die „Universal Declaration of Human Rights“ geschützt ist und das Artikel 12 eindeutig die Legalität von PRISM oder irgend einer Organisation (z.B. Yahoo!) in Frage stellt, die die potenzielle Verletzung meiner Menschenrechte unterstützt.“

Adam Lewicki, System Engineer: Eigener Server statt Google Mail
„Ich nutzte bis vor kurzem Google Apps for Domains und habe aus Bequemlichkeit mein Mailservice für meine persönliche Domain dort betreiben lassen. Nun habe ich meine Mails von Google alle wieder zu mir geholt und miete mir jetzt meinen eigenen Server im Internet, auf dem ich ein eigenes Mailservice betreibe. So kann ich wenigstens sicherstellen, dass auch wirklich nur ICH auf meine Mails Zugriff habe. Dafür muss ich mich zwar jetzt auch um die Updates für die Mailsoftware am Server kümmern, aber das nehme ich gern in Kauf. Ein kleiner virtueller Server reicht da vollkommen, ein Mailserver (Postfix) und ein IMAP Server (z.B. Courier) sind auch schnell installiert. Im Prinzip würde so etwas auch auf einem Raspberry Pi laufen, solange der 7×24 im Internet hängt.”

Werner Reiter, Kommunikationsberater: Owncloud statt Dropbox
„Ich bin schon seit einiger Zeit nicht mehr so sicher, ob ich mit meinen Daten dafür zahlen möchte, all die schönen neuen Services nutzen zu können. Seit dank Edward Snowden bekannt geworden ist, dass alles – und zwar wirklich alles, was ich mit diesen Services mache – für die NSA von Interesse ist, dass meine Requests, die über den Atlantik laufen, auf Unterseekabeln abgegriffen werden, dass der Preis also noch höher ist als gedacht, ist aus der Skepsis Gewissheit geworden. Es gibt eine ganze Reihe von Alternativen zu den schönen neuen Services. Nicht alle davon sind so ausgefeilt, superconvenient und glattpoliert wie die der großen Anbieter, aber sie bieten ein Riesenstück mehr Selbstbestimmung über die eigenen Daten – wie zum Beispiel Owncloud. Als Selbstständiger, der mal hier und mal dort arbeitet und das auf unterschiedlichsten Geräten, als jemand, der viele Dokumente mit seinen Kunden teilt, brauche ich eine gute Cloudspeicherlösung. Früher war das Dropbox. Jetzt betreibe ich mit Owncloud eine „self-controlled free and open source cloud”. Sie läuft auf den Servern eines österreichischen ISPs. Die Daten gehören mir und liegen in Österreich. Es war selbst für mich als technischen Laien relativ einfach, sie serverseitig zu installieren. Die Dokumentation des Anbieters und zwei ergoogelte (ja, ich weiß!) Blogposts zur spezifischen Konfiguration bei meinem ISP haben als Anleitung gereicht. Jetzt habe ich also meine eigene Cloud. Sie hat eigentlich alle Features, die ich auch bei Dropbox genutzt habe. Die Links zu geteilten Dokumenten zeigen auf meine Domain und die Früchte meiner Arbeit sind nicht Teil von geheimdienstlichen „Antiterror“-Programmen.”

Kai Höher, iOS-Entwickler: Verschlüsselungs-App statt WhatsApp:
„Aufgrund der aktuellen Verschlüsselungs-Problematik und da ich selber WhatsApp & Co verwende, entwickle ich gerade eine iOS-App um Texte zu konvertieren und „abhörsicherer“ zu machen. Der „Konverter“ belässt den ersten und letzten Buchstaben eines Wortes unverändert und ordnet den Rest zufällig an. Durch den Kontext bleibt der Text dabei für den User lesbar und kann einfach direkt aus der App für Facebook, Twitter & Co verwendet werden. Dies ersetzt natürlich keine komplette Verschlüsselung, aber erschwert bzw. sabotiert die Arbeit möglicher Suchroboter. Pircavy (angelehnt an „Privacy“) – oder auch kurz Py – wird in den nächsten Tagen eingereicht und erscheint spätestens in ein bis zwei Wochen im AppStore.

Gerald Bäck, Blippex-Gründer: PGP-verschlüsselte E-Mails
„An sich bin ich ein relativ Sicherheits- und Privacy-bewusster Mensch. Schon vor den NSA-Enthüllungen verwendete ich VPNs, TOR und verschiedene Techniken, die auch den Browser vor zu neugierigen Augen schützen sollten. Nur Email war immer ein Schwachpunkt. Nicht nur, dass bedingt durch die Architektur des Email-Dienstes wirklich jeder E-Mails mitlesen könnte, hostet man die E-Mails auch noch bei Google (Gmail). Meine erste Konsequenz daraus: Ich habe mir PGP auf meinem Mac installiert und begonnen, E-Mails zu verschlüsseln. Leider bisher mit wenig Erfolg, ganz einfach, weil es sonst keiner verwendet. Den Schritt weg von Google habe ich bisher nicht getan, vor allem, weil das selbst Hosten eines E-Mail-Servers wirklich mühsam ist und ich auch nicht wirklich überzeugt bin, dass eine selbst gehostete Infrastruktur wirklich sicherer wäre.”

Jakob Steinschaden: Wuala statt Dropbox
„Ich habe bis vor kurzem eigentlich ziemlich heikle private und berufliche Dokumente in der Dropbox abgelegt, um sie zwischen Arbeits-PC, Notebook und mobilen Geräten zu synchronisieren. Diese Daten kommen dann auf Amazon-Servern zu liegen (ja, Dropbox hat keine eigenen Server, sondern speichert auf dem „Simple Storage Service“ von Amazon) und unterliegen dem „Patriot Act“. Als Alternative habe ich zum Schweizer Anbieter Wuala gewechselt, bei dem die Daten vor dem Hochladen auf die Server in der Schweiz, in Deutschland und in Frankreich direkt am eigenen Computer verschlüsselt werden. Die Daten werden dann bereits verschlüsselt via Internet übertragen, was das Mitlesen unmöglich oder zumindest deutlich erschweren sollte. Der Wechsel war denkbar einfach – man zieht einfach seine Dropbox-Dateien in die Wuala-Software und fertig. Ob Wuala zu 100 Prozent sicher ist, kann ich zwar auch nicht sagen, aber jedenfalls vertraue ich den Schweizern mehr als Dropbox.”

Und wie hast Du deine Internetnutzung nach den Snowden-Leaks verändert, oder warum hast du nicht gewechselt? Schreib´s in die Kommentare!

Unheimlich praktisch: Der persönliche Smartphone-Assistent Google Now im Test

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Es ist kein großes Geheimnis: Smartphones sollen uns als persönlicher Chefsekretär dienen und durch den Tag begleiten. Während Apples Siri bisweilen eher wegen ihren versteckten Witzen auffällt, versucht sich Google Now auf Android-Handys (ab Jelly Bean 4.1) und auf iOS-Geräten (in der Google Search-App) nützlich zu machen. Das funktioniert teilweise schon ganz gut, ist aber auch gruselig – denn Google Now zeigt auch, wie sehr uns der Internetkonzern bereits durchleuchtet.

Chefsekretär für die Hosentasche
“Roman hat heute Geburtstag, gratuliere ihm auf Google+” – “Heute Abend 20:45 spielt Juventus Turin gegen AC Mailand” – “Am Montag hat es 17 Grad, leicht bewölkt” – “In die Arbeit dauert es per Auto 22 Minuten – “Die Tesla-Aktie ist um 4,43 Prozent gestiegen”. Informationen wie diese liefert Google Now Millionen Nutzern aufs Handy-Display. Ob auf Android oder iOS – um die Daten auf den Touchscreen zu holen, reicht es, Google-App bzw. Widget anzutippen. Denn der Dienst werkelt stets im Hintergrund und will die Daten immer bereithalten, damit man gar nicht danach fragen muss. Insofern unterscheidet sich Google Now stark von Apples Siri: Den bekannten iOS-Assistenten, erdacht von Siri-Erfinder Adam Cheyer, muss man immer erst etwas fragen und hoffen, dass die Software die Frage auch versteht. Now hingegen wertet Suchanfragen aus, liest E-Mails aus, ortet die Wetterlage, scannt den Verkehr, checkt den Kalender oder schlägt im TV-Programm nach und errechnet daraus die virtuellen Kärtchen, auf denen die Infohappen zeitgerecht und durchaus ansprechend präsentiert werden.

Voraussetzung für den kostenlosen Service ist natürlich, dass der Nutzer auch “Ja” dazu sagt – und sich viel in der Google-Welt bewegt. Denn die Daten zieht Now aus Google-eigenen Diensten – werden Termine in einer Apple-App eingegeben, Geburtstagserinnerungen bei Facebook gelesen oder E-Mails per Microsofts Outlook verschickt, hat Google natürlich keinen Zugriff darauf und dementsprechend kleine oder große blinde Flecken. Search, Maps, Gmail, Kalender, Google+ – damit Now auch wirklich effektiv ist und möglichst viele Daten zusammenführen kann, muss man schon ein ziemlicher Google-Liebhaber sein. Selbst eingefleischten Fans des kalifornischen Internetkonzerns könnte der Dienst dann auch unheimlich werden. Etwa, wenn man nach einem Restaurant googelt und Now gleich den passenden Anfahrtsweg berechnet, als hätte es (er? sie?) erraten, das man dort reserviert hat. In den USA kann der Dienst bereits an Veranstaltungen erinnern, wenn man ihn in die E-Mails schauen lässt und er dort elektronische Eintrittskarten findet.

Auch als Reiseführer will Google Now auftrumpfen: Die Software erkennt bei Erlaubnis auf GPS-Zugriff, ob man gerade auf Reisen ist und zeigt dann Umrechnungskurse, Übersetzungen oder Sehenswürdigkeiten in der Nähe an. Doch so wertvoll sind diese Informationen, die im Ausland wegen Daten-Roaming einiges kosten können, dann auch wieder nicht.

Nützlich, aber nicht spektakulär
So aufregend Google Now klingt, so unspektakulär ist es letztendlich. Sicher ist es toll, dass jeden Tag die Fahrzeit zur Arbeit errechnet wird – aber welcher Autofahrer, der jeden Tag die selbe Strecke fährt, braucht diese Information wirklich? Fragwürdig ist auch, warum Google will, dass man seine Pendlerstrecke automatisch im hauseigenen Netzwerk Google+ veröffentlicht. Die Kontakte (und vielleicht auch der Chef) bekommen dann die spannende Information, dass man jetzt am Heimweg ist. Google liegt hier einer Fehleinschätzung auf: Google+ ist nur für die wenigsten ein Freundes-Netzwerk wie Facebook, sondern lebt ähnlich wie Twitter vom Kontakt zu Branchenbekannten. Deswegen ist es auch ziemlich unnötig, Google+-Geburtstage in “Now” angezeigt zu bekommen. Hier kocht Google noch zu sehr sein eigenes Süppchen, während Apples Siri bereits Anbindungen an Twitter, Facebook, Yelp, Fandango, OpenTable oder Wolfram Alpha bekommen hat.

Praktischer erscheint es da schon, dass der Dienst Sportbegeisterte auf dem Laufenden halten will und über die Spielstände von Lieblingsmannschaften in Echtzeit informieren kann. Das klingt toll, ist aber noch dürftig umgesetzt. Beispiel Champions League: Derzeit kann man offenbar nur Mannschaften aus den vier großen Fußballnationen Deutschland, England, Spanien und Italien verfolgen. Benfica Lissabon? Olympique de Marseille? Austria Wien? Fehlanzeige. Was in Europa auch nicht funktioniert, sind die TV-Karten, die passend zum Fernsehprogramm Informationen etwa über Schauspieler aufs Smartphone oder Tablet (Stichwort “Second Screen”) liefern.

Es fehlt das gewisse Etwas
Insgesamt ist Google Now für mich kein echter Zugewinn. Der Preis für eher banale Informationen, an die man leicht auch anders (Apps, Web, Fenster) gelangt, ist ziemlich hoch; immerhin durchleuchtet Google Now in bester Spionagemanier E-Mails, Freizeitgewohnheiten und Bewegungsmuster. Das Smartphone wird so nur noch ein Stück mehr zum Tracking-Gerät. Und in den Marketingabteilungen des Konzerns rattern sicher schon die Gehirne, um sich Wege ausdenken, wie man Now bewirtschaften kann. Denn was spricht eigentlich dagegen, dem Nutzer (auf hoffentlich gekennzeichneten Now-Karten) bestimmte Restaurants, Shops oder Fernsehsendungen zu präsentieren, die zu seinen Vorlieben passen? Mi dem Einverständnis des Users, versteht sich.

Dieser Artikel ist zuerst bei Netzpiloten.de erschienen.

In eigener Sache: Ausgewählte Blog-Artikel jetzt auch im Online-Magazin paroli

Damit noch mehr Menschen in den Genuss meiner Blog-Artikel kommen (ok, ich hör´ schon auf), veröffentliche ich ab heute regelmäßig ausgewählte Beiträge im österreichischen Online-Magazin paroli, das es sich zur Aufgabe gemacht, Themen zu bringen, die anderswo auf der Strecke bleiben. Die Macher von paroli, darunter meine werte Arbeitskollegin Yvonne Widler beim HORIZONT, haben 2012 bereits den “New Media Journalism Award 2012” abgestaubt und bringen spannende Artikel Gesellschaft, Politik und Kultur am laufenden Band, und ich darf das Spektrum um das Thema “Digital” erweitern. Meine Blogposts sind bei paroli gesammelt unter http://www.paroli-magazin.at/meta/channels/blogs/digital zu finden. Also dann, man liest sich!

Ich habe die Zukunft des Fernsehens gesehen, und sie heißt Netflix

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Auf einer Reise nach Amsterdam habe ich eine der spannendstens Bekanntschaften der letzten Jahre gemacht. Nein, keine weichen Drogen und leichten Mädchen, sondern den TV-Streaming-Dienst Netflix. Denn der US-Service ist seit kurzem in den Niederlanden verfügbar, was mir erlaubte, unkompliziert ein Konto anzulegen und mich gleich mal in die von Netflix produzierte Serie “Orange Is The New Black” zu verschauen. Aber mal ganz von vorne: Nach etwa drei Wochen Nutzung bin ich der festen Überzeugung, die Zukunft des TVs gesehen zu haben.

Pauschale für das Film-Buffet
“All you can watch” lautet das Motto von Netflix und verspricht dem Nutzer ein reichhaltiges Online-Buffet an Filmen uns Serien, die man sich zum Pauschalpreis zu Hause auf seine Bildschirme streamen kann. 7,99 Euro kostet die Mitgliedschaft pro Monat, dann darf man Netflix-Inhalte gleichzeitig auf zwei Bildschirme seiner Wahl streamen (für 11,99 Euro pro Monat sind 4 Geräte parallel nutzbar, quasi das Familienpaket). Netflix funktioniert auf der Webseite und ist als App für Smartphones und Tablets erhältlich. Besonderen Spaß macht das Ganze, wenn man sich Netflix auf den Flat-TV holt (ich mache das mit MacBook, Apple TV und Bildschirm-Synchronisation) – und schon hat man das Gefühl, dass man Kabelfernsehen nicht mehr braucht.

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Denn: Netflix ist “on demand” in Reinkultur. In dem reichhaltigen Katalog (zu den Lücken etwas später) findet sich eigentlich immer etwas, das man sich gerne anschauen möchte. Besonders zeitfressend sind die Serien (z.B. “Breaking Bad”, “Futurama”, “Battlestar Galactica”, “Mad Men”), die es in dem Portal gibt und deren Folgen fast nahtlos ineinander übergehen und zum Weiterschauen einladen. Da Netflix ausschließlich durch Nutzergebühren finanziert wird, gibt es auch keine störende Unterbrecherwerbung, und pausieren und zurückspulen kann man natürlich auf jederzeit, wenn man mal aufs Klo muss oder abgelenkt wurde. Damit die Nutzer möglichst viel Zeit mit Netflix verbringen, schlägt eine mitlernende Software ständig neue Filme oder Serien vor, die zum bisher gesehenen bzw. zu den eigenen Präferenzen passen – das hilft dabei, die Bibliothek nach Neuem zu durchforsten. Der Algorithmus wurde übrigens von der österreichischen Firma Commendo verfeinert, die 2009 den Netflix Prize (Preisgeld: eine Million US-Dollar) gewonnen hat, weil sie die Genauigkeit der Empfehlungsformel um 10,06 Prozent verbessern konnte.

Es gibt noch viel zu verbessern
Perfekt ist die Netflix-Welt natürlich noch nicht: Die Streams sind manchmal ziemlich pixelig und weit von HD entfernt, der Algorithmus schlägt manchmal abstruse Filme vor (nein, “Captain America” gehört nicht zu meinen Lieblingsstreifen), und der Katalog weist ziemlich große Lücken auf. “Herr der Ringe”? “James Bond”? “Fight Club”? “Star Wars”? “Casablanca”? “Der englische Patient”? “Der dritte Mann”? Fehlanzeige. Auch bei “Breaking Bad” fehlen die aktuellsten Folgen, und an Serien-Hits wie “Game Of Thrones” oder “True Blood” gelangt man bei Netflix ebenfalls nicht. Zum Ausgleich gibt es aber von Netfix selbst produzierte, hervorragende Serien exklusiv – und zwar “House Of Cards” (mit Kevin Spacey, Emmy-Gewinner), “Orange Is The New Black”, “Arrested Development” oder “Hemlock Grove”, die man sonst nirgends zu sehen bekommt.

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In Deutschland und Österreich ist Netflix noch nicht offiziell verfügbar, kann aber mit Tricks (eine Anleitung gibt es hier) trotzdem relativ einfach aufs eigene Display geholt werden (Nachteil: Sämtliche Inhalte sind auf Englisch). Als Alternative hat der Medienkonzern Pro7Sat.1 Media Das Video-On-Demand-Portal Maxdome in Deutschland (7,99 Euro/Monat) und Österreich (14,99 Euro/Monat) an den Start gebracht, das aber vor allem deswegen negativ auffällt, weil man für viele neue Inhalte extra zahlen muss (Miete bzw. Download). Mit aktuellen Inhalten hat aber auch Netflix, trotz angenehmer Flatrate, ein Problem. Zwar ist man in den USA laut Studie von PricewaterhouseCooper bereits größter Konkurrent zum Kabel-TV – andere On-Demand-Angebote wie Hulu oder HBO Go rangieren weit hinter Netflix – doch im Kabelfernsehen gibt es die Neuheiten (allen voran das “Breaking Bad”-Finale) immer noch zuerst zu sehen.

Apps werden TV-Sender ablösen
Für Netflix gibt es einmal abgesehen von der Expansion in den deutschsprachigen Raum (hier gestalten sich die Lizenzverhandlungen zu den deutschen Inhalten offenbar kompliziert) noch viel zu tun, was aktuellen Content angeht. Der Zukunftsausblick des Unternehmens für Investoren liest sich deswegen spannend: Internet-TV werde lineares TV ersetzen, Apps würden TV-Kanäle ablösen (z.B. BBC iPlayer, HBO Go), und die Nutzerschaft würde von den heute 37 Millionen Abonnenten auf Milliarden anwachsen. Pro Jahr gibt Netflix 450 Mio. Dollar für Marketingmaßnahmen aus, die mehr User zu dem Service bringen sollen, 350 Mio. Dollar/Jahr werden in die Verbesserung der eigenen Apps gesteckt, und ganze 2 Mrd. Dollar/Jahr werden in die Lizensierung von neuem Content gesteckt. Worum die Firma allerdings (noch) einen weiten Bogen macht, sind herkömmliche TV-Inhalte wie News, Wetterberichte, Musikvideos oder Sportübertragungen – das überlässt man den TV-Stationen. Und eines stellt man auch gleich klar: “We don’t and can’t compete on breadth with Comcast, Sky, Amazon, Apple, Microsoft, Sony, or Google. For us to be hugely successful we have to be a focused passion brand. Starbucks, not 7-Eleven.

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Mit dem Weglassen von Nachrichtensendungen, Wetter-News oder Sport-Übertragungen fühlt sich Netflix zuerst nicht an wie ein TV-Ersatz. Doch wer einmal Kunde wird, wird sehen, dass er nur mehr wenig Zeit mit dem Zappen durch lineare TV-Kanäle verschwendet, sondern sich dauernd seinen bevorzugten Content auf das gerade passende Display streamt. Herkömmliches Fernsehen macht nur mehr Sinn, wenn man Live-Übertragungen etwa zu Wahlergebnissen, Fußballspielen oder Großereignissen sehen will – doch auch diese Inhalte wandern zunehmend ins Netz, und es spricht nichts dagegen, dass Netflix (oder ähnliche Plattformen) zusätzlich zu ihren Filmbibliotheken auch Live-Streams anbieten. Wenn sie auch das ins Programm aufnehmen, dann ist das klassische Kabel-TV-Abo mit dutzenden Sendern, die man eh nie anschaut, obsolet geworden.

Subscription Business Model: Warum uns das Web per Abonnement bemuttern will

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Wer im Internet Geld ausgibt, der tut das oft im Monatsrhythmus. Musik, Filme, Nachrichten, Software und sogar Socken – per Abonnement bekommt man viele digitale und auch analoge Dinge frei Haus geliefert. Für Web-Firmen ist das Abo ein verlockendes Geschäftsmodell, weil es steten und damit planbaren Geldfluß bringt. Doch wie lange verkraften die Geldbörsen der Konsumenten den Subscription-Boom?

Da draußen kümmert sich wer um uns
9,99 Euro pro Monat für Millionen gestreamter Songs bei Spotify. 7,99 Euro pro Monat für unbegrenzten Zugriff auf die Netflix-Bibliothek voller Filme und Serien. 12,99 Euro pro Monat für das Digital-Komplett-Paket der Zeitung
Die Welt. 132 Euro für regelmäßige Sockenlieferungen bei www.blacksocks.com. Und so weiter und so fort. Wer zu Hause auf der Couch bleiben will und sich von Online-Firmen umsorgen lassen will, der kann sich bis zum Biogemüse alles an die Haustür liefern lassen. Das ist nicht nur praktisch, sondern tut auch mental gut.

Ein Abonnement birgt ein wohliges Gefühl: Da draußen ist jemand, der sorgt sich um meine Bedürfnisse und legt alles in die bestellte Kiste, was ich so zum Überleben brauche  – quasi so wie damals, als Mama einem das Gewand für den nächsten Tag aufs Bett legte und man selber nicht das Hirn anstrengen musste. Die geschnürten Pakete versprechen Komplexitätsreduktion: Die Streaming-Dienste Netflix oder Spotify haben bei weitem nicht jeden Film und jeden Song im Sortiment, locken uns mit lernenden Empfehlungs-Algorithmen aber immer tiefer in ihre Kataloge, damit wir nicht merken, was eigentlich fehlt.

Konstanter Cashflow
Dass Menschen auf die gemütliche Kiste stehen, ist gut für Internet-Unternehmer. Mit
Freemium (frei nach Internet-Investor Fred Wilson) hat sich ein Geschäftsmodell etabliert, dem das Abonnement innewohnt. “Give your service away for free, possibly ad supported but maybe not, acquire a lot of customers very efficiently through word of mouth, referral networks, organic search marketing, etc, then offer premium priced value added services or an enhanced version of your service to your customer base”, rät Wilson. Ob Spotify, Dropbox, oder Evernote – ihre Anbieter können monatlich auf einen konstanten Cashflow bauen, den ihre Premium-Kunden in die Kassen spülen. Der Dienst muss gut funktionieren und immer wieder Neuerungen bieten, klar – aber Kunden immer aufs neue gewinnen, wie es Online-Shops wie Zalando tun müssen, müssen Freemium-Services nicht.

Datei:Theatrophone .jpg
Das Theatrophon mit Münzapparaten, 1892

Neu ist die Idee klarerweise nicht. Zwischen 1881 und 1932 gab es in Pariser Luxushotels das so genannte “
Theatrophon”. Dabei wurden Theater- und Opernaufführungen via Telefon übertragen, und die Hörer an der Strippe mussten 50 Centimes pro fünf Minuten Zuhören bezahlen – quasi Musik-Streaming mit anderen Mitteln. In den 1700ern, schreibt AllThingsD-Autor Dan Burkhart, hätte es bereits Abos gegeben, wo Menschen gegen monatliche Beträge an Veranstaltungen teilnehmen durften. Später konnte man Wasser, Öl, Milch oder Windeln per regelmäßigem Entgelt beziehen, und nicht zuletzt Zeitungen nährten sich aus dem Abogeschäft.

Bündelung nur eine Frage der Zeit
Heute bezieht der durchschnittliche Bürger nahezu alles per Abonnement. Wohnung (Miete), Auto (Leasing), Gas, Wasser, Strom, Garage, Öffi-Ticket, Versicherung, Kabel-TV, Internet, Zeitung, ja selbst der Job ist quasi ein umgedrehtes Abo, bei dem der Arbeitgeber unsere Lebenszeit per Abonnement bezahlt (Lohn). Ja, das Abo hält unsere Wirtschaft ordentlich am Laufen. Weswegen man sich die Frage stellen muss, wie lange das noch gut geht. Denn die vielen neuen Internet-Services kommen zu unseren bestehenden Abos oben drauf. Spotify, Netflix und Audible mögen teilweise Ersatz für CD, DVD und Buch sein – aber das Internet-Abo muss man ja trotzdem nebenher zahlen. Deswegen: Wie lange können wir uns das noch leisten? Und: Wann konsolidiert sich der Markt dahingehend, dass man neben einem Online-Zugang auch verschiedene Services wie Musik, Online-Speicher, Video und News mit im Paket hat? Aus Sicht von Google und Telcos nur eine Frage der Zeit.

Am eigenen Leib getestet: Das Start-up Outfittery nimmt Männern das Shoppen ab

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Nenn` es Klischee, aber ist nun mal so: Nur der Gedanke an Einkaufszentren, Shopping-Straßen und Mode-Läden lässt es mir kalt über den Rücken laufen. Ich bin einer jener Männer, die Shoppen gehen nicht als tolle Freizeitbeschäftigung, sondern als lästige Pflicht sehen. Umso mehr, weil ich von Trends keine Ahnung habe – außer vielleicht, dass karierte Hemden nicht mehr ganz der letzte Schrei sind. Deswegen ist es umso interessanter, dass man diese Last jetzt ins Internet auslagern kann. Denn die ehemaligen Zalando-Mitarbeiterinnen Anna Alex und Julia Bösch haben eine spannende Marktlücke entdeckt, die sie mit Outfittery gegen Konkurrenten wie Modomoto verteidigen: so genanntes “curated shopping”. Anstatt eine Liste an Produkten ins Web zu stellen und sie von den Kunden bestellen zu lassen, übernehmen Style-Experten die Auswahl der Outfits und schicken eine hübsche Kiste nach Hause. Bezahlt wird nur das, was man behalten will.

Persönlicher Modeberater
“Ich hab´ jetzt einen persönlichen Modeberater, der mir diese neuen Schuhe und die Jacke ausgesucht hat”, prahlte ich kürzlich gegenüber einer guten Freundin. Im nächsten Satz musste ich zwar relativieren, dass der “nur” Mitarbeiter von Outfittery ist, hatte aber trotzdem ihre volle Aufmerksamkeit. Denn das Konzept des Online-Shops ist spannend: Anstatt dem Kunden die Qual der Wahl zu geben und tausende Kleindungsstücke online zu stellen, übernehmen die Mitarbeiter die Auswahl. In meinem Fall Timo, der mir eine Box mit Schuhen, Herbstjacke, Hosen, Pullover, T-Shirts und Boxershots zusammenstellte – und meinen Geschmack hervorragend getroffen hat.

Personalisierung steht im Fokus
Dass Outfittery so gut erraten hat, welche Kleidung ich gerne trage, ist zu einem guten Teil mir selbst zu verdanken. Denn die Webseite fragt den Besteller einer Box sehr detailliert über bevorzugten Kleidungsstil, Lieblingsfarben und Größen aus, weist auf Basis dieser Daten einen Style-Experten zu, der dann am Telefon noch einmal abklärt, was man gerne haben möchte. Das geht so weit, dass man sich bereits beim Gespräch zwischen Rund- oder V-Kragen, Jeans oder Chinos und engen und weiten Unterhosen entscheidet. Auch mein – übrigens sehr netter – Berater Timo überließ am Telefon nichts dem Zufall.


Beweisfoto: Meine Outfittery-Box

Zahlen, was man behalten will
Dementsprechend gut bestückt trudelte dann zwei Wochen nach Bestellung (der Versand nach Österreich dauert offenbar etwas länger) die Outfittery-Box ein. Im hübschen Design, ansprechend verpackt und gar mit einer handgeschriebenen Grußkarte von Timo versehen, war der erste Eindruck sehr gut. Das Anprobieren der aufeinander abgestimmten Kleidungsstücke machte zu Hause gleich richtig Spaß – Timo erlaubte sich keinen Fehler bei der Auswahl. Spannend an Outfittery ist, dass man einmal mit Marken (z.B. Ben Sherman, Selected, Zign) und Stilen (z.B. Chino-Hosen) in Berührung kommt, die man beim Shoppen gehen links liegen gelassen hätte.

Schnäppchen gibt es keine
Von den zwölf zugeschickten Kleidungsstücken habe ich gleich sieben behalten. Zu den Preisen: Schnäppchen sind es definitiv keine, aber angesichts der renommierten Marken (z.B. Boss, Diesel, Bench, Jack & Jones, Tom Tailor) gehen die
Preise in Ordnung – in Wien würde ich die Stücke kaum billiger bekommen (btw: Versandgebühren zahlt man keine, generell zahlen kann man mit Kreditkarte oder Banküberweisung). Die Stücke, die ich nicht behalten wollte, gingen per Retour-Box zurück an Outfittery, wobei sich die Macher etwas Besonderes ausgedacht haben. Man kann die Box mit Altkleidung füllen, die an die Caritas gespendet werden – eine sinnvolle Füllung für ein ansonsten halbleeres Paket, und man erspart sich selbst wieder den Gang zur Altkleidersammlung.

Guter Gesamteindruck
Ob das Geschäftsmodell langfristig aufgeht, bleibt abzuwarten. Die Idee, große Überraschungspakete an Kunden zu schicken, ist riskant. Die Klamotten auf einander und den Geschmack des Kunden abzustimmen, ist dabei essenziell – im Schnitt werden 300 Euro pro Bestellung ausgegeben. Bei mir hat der Paket-Trick funktioniert: Im Einkaufszentrum hätte ich nie sieben Stück gekauft. Insgesamt kann ich für Outfittery eine Empfehlung aussprechen. Der Dienst funktioniert fast reibungslos, die zugeschickte Kleidung ist top und passte, und auch die Kommunikation mit Timo lief super. Nur beim Marketing könnte Outfittery ein wenig vom Gas geben: Die SMS, ob ich nicht gleich eine Box mit Herbstmode bestellen will, war dann doch ein wenig zu aufdringlich.

Die Antithese zu Frank Stronach: 18-jähriger Pirat will ins Parlament

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Der 18-jährige Bernhard Hayden ist der jüngste Kandidat für den Nationalrat, den es in Österreich bis dato gegeben hat – er steht auf Platz Vier der Bundesliste der Piratenpartei Österreichs. Im Juni hat Hayden seine Matura mit Auszeichnung bestanden, und wenn das Wunder passiert, dann sitzt er im Herbst im Nationalrat – und falls nicht, dann fängt er ein technisches Studium in Wien an. “Burnoutberni”, wie sich Hayden auf Twitter nennt, hat mir im Interview erzählt, warum das Internet nicht wie das Kabelfernsehen werden darf, was er sich über seine Generation denkt und warum er gerne als Antithese zu Frank Stronach gesehen werden will.

Was hat Dich als so junger Mensch in die Politik verschlagen?
Ich war immer schon politikinteressiert, und die Piraten waren sehr ansprechend wegen den netzpolitischen Themen. Die technischen Aspekte haben mich schon immer fasziniert, und das mit Politik zu kombinieren, ist ein Traum. Was mich bei den Piraten überrascht hat, ist, dass es keinen Programmpunkt gibt, den ich gar nicht mittragen kann. Bei allen anderen Parteien gibt`s die schon.

Du bist in Deiner Generation die große Ausnahme, was politisches Engagement angeht. Was hältst du selbst von dieser Generation, der immer Politikverdrossenheit nachgesagt wird?
Bis vor kurzem hab ich auch immer dieses Sprücherl geklopft: Das ist keine Politikverdrossenheit, sondern Politikerverdrossenheit. Aber das ist auch zu platt, das stimmt nicht so. Es ist eher eine Systemverdrossenheit, viele sehen, dass sie ihre Stimme nicht mehr platzieren können.

Es gibt diesen Stehsatz “Privacy is dead”. Ist er aus Deiner Sicht wahr?
Diese Einstellung, den Glauben an die Privatsphäre verloren zu haben, kann ich grundsätzlich nachvollziehen. Aber ich finde es schwach, einfach aufzugeben. Noch viel schlimmer ist es, wenn Leute sagen: Ich hab` eh nichts verbrochen und nichts zu verbergen, mich können´s eh überwachen. In einer freien, offenen, demokratischen Gesellschaft mag das funktionieren, aber die Gefahr ist, dass das kippt. Das fängt bei der Stärke der FPÖ an und hört dabei auf, das niemand mehr Privatsphäre ernst nimmt.

Menschen in Deinem Alter, die permanent online sind, wie denken die über Privatsphäre?
Ich glaube schon, dass das Konzept Privatsphäre noch verstanden und gewollt wird. In den Altersgruppen sieht man Unterschiede: Bei den bis 18-Jährigen dominiert Facebook, die Älteren nutzen dann Twitter. Die Grundidee von Facebook, einmal abgesehen von der NSA-Spionage und dem Verkauf der Nutzerdaten, ist ja eine ganz andere als bei Twitter. Bei Twitter teilt man mit der ganzen Welt, und bei Facebook teilt man nur mit den Freunden. Ich finde das zeigt schon, dass das “Feature” Privatsphäre bei den Jungen mehr genutzt wird als komplette Öffentlichkeit.

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Du hast Dich bei den Piraten auf das Thema Netzneutralität spezialisiert. Was ist so wichtig daran?
Die große Gefahr ist, dass das Internet zum Kabelfernsehen wird. Wenn die Netzneutralität wegfällt, bekommt man je nach Internet-Anbieter einen Ausschnitt des Internet zu sehen, so wie wenn man bei Kabel-TV bei verschiedenen Providern verschiedene TV-Sender sehen kann und andere nicht. Als ich mein erstes Handy mit Farb-Display hatte, gab es diese Internet-Taste, vor der sich alle wegen der hohen Kosten gefürchtet haben. Schon damals wurde die Netzneutralität unterwandert, weil Mobilfunker ihre eigenen Internet-Portale betrieben haben und so versucht haben sich vom Anschluss-Provider zum Content-Provider zu wandeln. Heute forcieren das alle Netzbetreiber. Netzneutralität hingegen bedeutet, dass man frei wählen kann, welche Services man nutzen will und man Services selber auch anbieten kann. Wenn das wegfällt, dann verstößt das gegen demokratische Prinzipien und schadet jungen Start-ups, weil sie nicht mehr in den Markt hineinkommen. Wenn A1 plötzlich Geld für die Datenübertragung verlangt, dann kann sich YouTube das vielleicht leisten, eine kleine österreichische Firma aber vielleicht nicht. Das gefährdet die Innovationskraft des Internet, auf die wir ja alle bauen, selbst die ÖVP.

Mit den Piraten gehst Du demonstrieren, etwa vor der US-Botschaft. Das ist auch eher selten für Menschen aus Deiner Generation, sich mit einer Meinung auf die Straße zu trauen.
Ich finde das lustig. Es gibt ja diesen Vorwurf, dass die Jugend nur mehr diesen Klicktivism macht, und das stimmt sicher zu einem gewissen Teil. Es gibt viele, die sich nicht mehr vorstellen können, für etwas auf die Straße zu gehen. Für mich hat es einen gewissen Fun-Faktor, sich vor die US-Botschaft zu stellen und Fotos zu machen, bis die Polizei kommt. Aber mit den Polizisten und der Security dort zu tun zu haben, kommt einem auch seltsam vor. Ich war noch nie in Amerika, und vielleicht schaffe ich es jetzt auch nicht mehr dort hin, wer weiß.

Bist Du die Antithese zum reichen, 80-jährigen Milliardär Frank Stronach im österreichischen Wahlkampf?
Das kann man schon sagen. Ich bin aber nicht die Antithese, weil ich jung bin und er alt, sondern weil ich eine ganz andere politische Idee vertrete. Er sagt, ich bin der Chef, ich regle das für euch, vertraut mir. Die Piraten sagen, dass die Menschen die richtigen Antworten haben und wir maximal die richtigen Fragen stellen.

Welche anderen Parteien sind den Piraten am nächsten?
Ich stelle mal eine gewagte These auf: Wenn die NEOS das Update der ÖVP sind, dann sind die Piraten das Update der SPÖ. Einige unserer Punkte erinnern stark an die Arbeiterbewegung, das fängt schon beim Urheberrecht an. Wir wollen, dass es für alle leistbar ist, Kunst und Kultur zu konsumieren und produzieren. Tagespolitisch am nähesten sind uns wohl die Grünen, die eine ähnliche Entstehungsgeschichte haben und die sich noch am ehesten mit Netzpolitik beschäftigen.

Warum wird der NSA-Skandal im österreichischen Wahlkampf so gut wie nie thematisiert?
Weil da die etablierten Parteien allesamt nur schlecht aussteigen würden. ÖVP und SPÖ haben die Vorratsdatenspeicherung eingeführt, beide führen mit Justiz, Inneres und Verteidigung genau jene Ministerien, die mit dem NSA-Skandal zu tun haben. Da kann es ÖVP und SPÖ nur recht sein, dass nicht viel Wind um die Sache gemacht wird.

Warum interessiert sich der Durchschnittsösterreicher nicht für die NSA-Überwachung?
Gute Frage, das kann ich nicht nachvollziehen. Vielleicht wirkt das für viele wie ein Agenten-Thriller, den man sich aus der Ferne bequem auf der Couch ansieht. Aber vielleicht dreht sich das in den nächsten Jahren, und es ist die Aufgabe der Piraten, dieses Bewusstsein zu schaffen. Aber um ehrlich zu sein, überfordert uns das derzeit ein bisschen.

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Wie schützt Du Deine Daten im Internet?
Bis dato habe ich meine Nutzung noch nicht wirklich verändert, aber ich habe vor, das zu tun. Ich plane mir einen Root-Server zu besorgen und dann E-Mails selbst zu hosten. Durch meine politische Arbeit habe ich mit immer mehr Dingen zu tun, die eigentlich verschlüsselt werden sollten.

Immer mehr Kryptographie einzusetzen, kann aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
Wenn es ein technisches Problem wäre, dann könnte man es technisch lösen. Ist es aber nicht, es ist ein gesellschaftliches Problem. Wir sollten da viel radikaler denken. Wir sollten uns nicht fragen, wie wir unsere E-Mails noch besser verschlüsseln können, sondern: Wozu brauchen wir überhaupt Geheimdienste? Das ist auch interessanter als die Frage, wo jetzt diese NSA-Villa genau steht.

Wieviel Prozent rechnest Du Dir für die Piraten bei der Nationalratswahl aus?
Vier Prozent sind schaffbar. Wenn diese NSA-Sache doch noch aufgeht und wenn das deutsche Wahlergebnis gut für die Piraten ausgeht, dann könnte uns das helfen. Derzeit rechne ich aber mit plus minus zwei Prozent. Wenn wir die stärkste außerparlamentarische Partei werden, dann wäre ich sehr zufrieden für den ersten Nationalratswahl-Antritt.

Sollte das Wunder passieren, dann sitzt Du im Nationalrat. Was hätte für Dich höchste Priorität, in den nächsten fünf Jahren durchzusetzen?
Ich würde vehement für ein striktes Gesetz für den Erhalt der Netzneutralität eintreten. Außerdem würde ich gerne das bedingungslose Grundeinkommen in die Diskussion bringen und Feldstudien dazu in Auftrag geben. Das wäre zum Beispiel auch eine sinnvolle Verwendung für unsere Parteienförderung.

Wie würde Deine erste Reaktion ausfallen, wenn ihr den Einzug ins Parlament schafft?
Party! Außerdem habe ich eine Wette mit Freunden laufen. Ich müsste mir dann meine Haare auf Landeshauptmann Erwin Pröll stylen und violett färben, wovor ich ein bisschen Angst habe. Und dann hätte ich natürlich große Vorfreude auf die parlamentarische Arbeit.

Hayden habe ich übrigens bei der Wien-Premiere des Datenschutz-Films “Terms And Conditions May Apply” (meine Rezension hier) kennengelernt. Er war mir sofort sympathisch, u.a. weil er mein Buch “Digitaler Frühling“ zu Hause hat.

Der Spaziergang: Neuer Trend-Sport beim Protestieren gegen NSA-Überwachung

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Wenn die NSA-Enthüllungen eines bewirkt haben, dann folgendes: Spazierengehen hat wieder Pepp. In Deutschland und in Österreich haben besorgte Bürger das Promenieren zu versteckten US-Einrichtungen, in denen vermutlich ausgespähte Daten verarbeitet werden, als neue Wochenendbeschäftigung für sich entdeckt. Ein Erlebnis-Bericht vom Besuch der Wiener NSA-Villa.

Ausflug für Foto-Freunde
Die spätsommerliche Sonne scheint über den noblen Villen des Wiener Stadtteils Pötzleinsdorf, die gähnend leeren Straßen laden zum Flanieren ein und gemütliche Heurige locken zum Verweilen. Was hinter den hohen Zäunen und Fassaden der vielen Botschaftsgebäude des Viertels passiert, kann man nur erahnen. Besonders interessant wären die Vorgänge in der
Pötzleinsdorfer Straße 126-128. Denn das abgeschottete Haus dort steht im Eigentum der Vereinigten Staaten von Amerika und ist in Österreich spätestens seit Sonntag besser als die NSA-Villa bekannt.

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Was dort vor sich geht, will der Grün-Politiker Peter Pilz klären und den österreichischen Sicherheitsrat einberufen, der Wiener Kommunikationsberater Rudi Fussi lud via Facebook spontan zum Spaziergang für Freunde der Architekturfotografie zu besagter Adresse. Als Demonstration will man die Aktion nicht verstanden wissen, deswegen sagt man schmunzelnd “Foto-Safari” dazu.

Keiner daheim?
Und so scharen sich etwa 200 Menschen vor dem Einfahrtsgatter der besagten NSA-Villa zusammen und spähen hinein auf das abgeriegelte Gelände. Die Rollläden sind unten, ein paar Autos stehen vor dem Haus, das gesamte Grundstück wird von vielen Videokameras überwacht. Vor allem Grün-Politiker, Piraten, Studenten, Journalisten, Blogger und andere Menschen aus der Wiener Online-Branche finden sich ein, einige haben für die Foto-Safari auch gleich die Familie samt Kinderwagerl mitgenommen. Viele haben Kameras mitgebracht und schießen Fotos von der Villa und den Überwachungskameras, die die Szenerie bei Nummer 126-128 ziemlich sicher genau dokumentieren.

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Ein paar Spaßvögel läuten auch an (“Guard” steht neben der Klingel), doch es macht natürlich niemand auf – vielleicht ist ja gar keiner da, es ist ja immerhin Sonntag. Die anwesenden Polizisten der Spezialeinheit WEGA stehen gut gelaunt nebenbei und beobachten das muntere Treiben – Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in zivil sind aber auch da und werden sich die Gesichter der Spaziergänger wohl genauer ansehen als die Kollegen in Uniform.

Das Unbegreifbare angreifen
Dass ein fades Haus, bei dem es quasi nichts zu sehen gibt, plötzlich so viele Menschen anlocken kann, erscheint seltsam. Doch tatsächlich hat die NSA-Villa einen Effekt: Sie macht das Unbegreifliche – die geheime Massenüberwachung der Internet und Smartphone-Nutzer – ein wenig greifbar, ist der analoge Anker im virtuellen Wahnsinn. So wie Facebook-Gegner Max Schrems sich seine angeblich gelöschten Facebook-Daten auf einen imposanten Stapel Papier druckte, ist es den Menschen wichtig, auch mal den Zaun und die Klingel anzugreifen, hinter denen sich die bösen Überwacher verstecken.

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Endlich den Stützpunkt der vermeintlichen Spione lokalisiert zu haben, gerät an diesem Sonntag gar zur Familienattraktion. Spaziergänger lassen sich grinsend vor der Villa fotografieren, als wären sie in einem Vergnügungspark mit Agententhriller-Thematik – vielleicht ist so der Ernst der Lage besser zu verkraften.

Kinderwagerl statt erhobene Fäuste
Nach einer Stunde und einer kurzen Ansprache von Pilz zucken die meisten Besucher die Schultern und schlendern wieder von dannen – viele gleich zum Heurigen, wo man sich und der mitgebrachten Familie bei NSA-Scherzchen eine Jause gönnt. Und da wird auch klar, was dieser Spaziergang eigentlich bedeutet. Hinter all dem Sarkasmus und Schmunzeln steckt echte Besorgnis, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Dass der Bildungsbürger sich auf die Straße begibt, um ein Zeichen zu setzen, ist ungewöhnlich – bei Demonstrationen gegen Internetregulierung und -überwachung traf man bisher eher auf junge Menschen mit Guy-Fawkes-Masken.

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Fussi konnte über Nacht 200 Menschen zur NSA-Villa locken – was wohl auch daran lag, dass es keine Parteiveranstaltung mit wehenden Fahnen und mit Slogans bedruckten Transparenten ist. Die heutige Mittelschicht sieht sich nicht gern unter den Bannern irgendwelcher Parteien, da kommt ein überparteiischer Spaziergang in lockerer Atmosphäre besser an als Megaphone, durch die Parolen gebrüllt werden.

Der politische Spaziergang
In Deutschland ist der Spaziergang ebenfalls “en vogue”: Wöchentlich gehen an die hundert Menschen zum Dagger Complex nahe Frankfurt, einem US-Stützpunkt mit Späh-Aufgaben. Auch dort ist nicht die klassische Demonstration zu sehen, sondern Menschen, die den freundlichen Protest mit Freizeitspaß verbinden, und Griller, Pavillons und Würstchen mitbringen. Der Unterschied zu anderen Ländern ist offensichtlich: Während es in Spanien, der Türkei oder Griechenland zu brutalen Ausschreitungen gekommen ist, sind die österreichischen und deutschen Protestveranstaltungen noch klein und harmlos sind (mit der Polizei wird geplaudert und nicht gerauft).

In China, wo zu solchen politischen Spaziergänge 2011 im Zuge der so genannten “Yasmin-Revolution” im Internet aufgerufen (weil man keine Demos anmelden konnte), sind sie übrigens nicht so friedlich ausgegangen – sie wurden von der Polizei im Keim erstickt.

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Wiener Initiative Digitalista: „Frauen in der IT-Branche müssen sichtbarer werden“

“Connecting digital women”: Unter diesem Motto versucht die Wiener Initative Digitalista, Frauen in der Online-Branche besser zu vernetzen. Die Mitgründerin Susanne Liechtenecker erklärt im Interview, warum man zuerst das Selbstbewusstsein der Frauen stärken muss, warum Yahoo-Chefin Marissa Mayer ein Vorbild für sie ist und warum man die Mitglieder nicht in der Opferrolle sehen sollte.

Was war der Auslöser, Digitalista zu gründen?
Unsere Obfrau, die Elisabeth Oberndorfer (IT-Journalistin, Anm.), hat Interviews bei Unternehmen angefragt, und die Frauen dort öfters gezögert haben oder sich nicht getraut, etwas zu einem Medium zu sagen. Anders als Männer haben Frauen oft Selbstzweifel, ob sie das überhaupt können. Es sind so kleine Zustände, etwas, dass das Netzwerken unter Frauen schwierig ist. Für Frauen ist es notwendiger, zu netzwerken, und das hat uns in der Online-Branche gefehlt. Vor Digitalista hab ich mir gedacht, Mann oder Frau, alles das Gleiche. Aber wenn man sich genauer damit auseinandersetzt und die Augen aufmacht, sieht man, dass viele Dinge sehr subtil sind.

Was sind die drei großen Ziele von Digitalista?
Ein großes Ziel von uns ist, dass Frauen selbstbewusster werden und etwa auf Panels und Konferenzen sichtbarer werden. Es gibt ja viele Frauen in der Online-Branche, aber es gibt nicht so viele, die auf der Bühne stehen. Weiters wollen wir das Auftreten von Frauen verbessern und ab nächsten Jahr Persönlichkeits-Coachings anbieten. Außerdem wollen wir die Vernetzung der Frauen und ihren Austausch fördern.

Wie kann man die Sichtbarkeit denn erhöhen?
Wir wollen unsere Mitgliederinnen aktiv anstoßen, dass sie sich selbst als Expertinnen sehen. Wenn jemand Know-how hat, kommt sie in unsere Speakerinnen-Datenbank, und auf die kann jeder zugreifen. Außerdem wollen wir aktiv auf Veranstalter zugehen und ihnen unsere Expertinnen empfehlen.

In der jungen Start-up-Szene Österreichs gibt es kaum Frauen. Warum nicht?
Die Finanzierung hängt immer stark von der Qualität der Technologie ab, und es sind eben immer die “technical guys”, die das können. Wenn du dir die Unis anschaust, da ist klar verteilt, wer was studiert. Das gehört unbedingt geändert. Deswegen haben wir eine Kooperation mit der Lern-Plattform Treehouse. Unsere Mitglieder bekommen dort Online-Kurse zu Web-Design und Programmierung günstiger.

Sind Frauen wie Arianna Huffington, Facebook-COO Sheryl Sandberg oder Yahoo-CEO Marissa Mayer Vorbilder für euch?
Ja sehr. Marissa Mayer ist für mich eine sehr spannende Frau, allein, wie sie mit Yahoo kürzlich beim Traffic Google übertrumpft hat. Vor einem Jahr hätte sich niemand erträumt, dass das noch möglich ist, und ich glaube, das allein die PR rund um ihre Person viel möglichgemacht hat. Sheryl Sandberg ist auch super spannend, und im deutschsprachigen Raum fehlt es an den Frauenvorbildern.

Was ist mit Angela Merkel, die wohl mächtigste Frau der Welt?
Die finde ich auch super spannend, aber wird sie wirklich weiblich wahrgenommen? Oder ist sie nur deshalb so akzeptiert, weil sie als sehr männlich wahrgenommen wird? Und nur, wenn sie ein zu tiefes Dekolleté hat, wird ihre weibliche Seite diskutiert?

Angenommen, die Tech-Branche hat 50 Prozent weibliche Führungskräfte – würde etwa das Internet anders aussehen als es aussieht?
Es würde nicht mehr so sehr um die technische Innovation gehen, sondern mehr um den Content. Die meisten Gründer im Silicon Valley sind Männer, und denen geht es darum, was die neueste App am besten kann. Bei Frauen geht es mehr um Content-Plattformen. Es geht uns aber sehr wohl darum, dass sich Frauen mit dem technischen Background auseinandersetzen. Zumindest, wie HTML funktioniert, sollte man wissen, weil man sich sonst in Zukunft schwertun wird. Außerdem würde sich der Arbeitsmarkt ändern, weil mehr Frauen in Führungspostionen heißt auch, mehr Führungspositionen mit Kindern. Die Zeiteinteilung würde sich ändern, und Frauen würden nicht in männliche Rollen gedrängt werden.

Ihr habt euch vor einem halben Jahr formiert. Wie ist das Feedback?
Der Zuspruch ist unglaublich positiv. Unser Ziel war, im ersten Jahr hundert Mitglieder zu haben, und das haben wir binnen zweieinhalb Monaten geschafft. Die Vernetzung bei den Events und Stammtischen entwickelt sich gut, und wir bauen viel neues Wissen auf, das wiederum dem Selbstbewusstsein der Mitgliederinnen zuträglich ist. Weil wer mehr weiß, kann selbstbewusster auftreten. Es gab aber auch einige negative Reaktionen: Einige Männer haben sich angegriffen gefühlt, die sagten: Warum ist das notwendig, in der Online-Branche sind wird doch alle gleich.

Besteht nicht die Gefahr, dass sich Frauen mit Digitalista selbst ghettoisieren?
Wir sagen nicht, wir sind die armen Frauen und werden dauernd diskriminiert, müssen uns jetzt zusammenrotten und auf die feministische Art sagen, es reicht. Ich will nicht, dass wir in dieser Opferrolle gesehen werden, weil das bin ich nicht und das sind alle Gründerinnen nicht. Aber sobald man sich organisiert, wird es so wahrgenommen. Deswegen wollen wir, dass der Netzwerkgedanke im Vordergrund steht, und alle interessierten Männer sind genauso willkommen bei uns und können Mitglieder werden.

Es ist derzeit Wahlkampf – ist die Politik an euch herangetreten?
Nein, aber das würden wir auch ablehnen. Wir sehen das nicht politisch im Sinne einer Quotenregelung. Es ist besser, wenn die Frauen sich alleine stärken und sich gegenseitig helfen.

Und die Wirtschaft, würdet ihr die Hilfe von großen Unternehmen annehmen?
Das ist noch nicht passiert, darf aber gerne passieren. Das fänden wir viel spannender, etwa, wenn eine Konzernchefin ihre Erfahrungen an unsere Mitglieder weitergibt.

Welche Unterstützung würdet ihr euch aus der Männerwelt wünschen?
Weniger Kritik an der Sache an sich, mehr Verständnis und gerne auch den Austausch. Ich habe nichts dagegen, wenn sich die Digitaleros gründen, und wir machen eine Kooperation mit ihnen. Es ist kein Gegeneinander, und diesen Grundgedanken anzunehmen, das würde ich mir wünschen.

Wie profitierst du persönlich von Digitalista?
Ich habe dadurch viele interessante Leute mit spannenden Lebensläufen kennengelernt, das hat mir am meisten gebracht.

Bis zu 90 Prozent inaktiv? Tumblr hat ein massives Problem mit Fake-Profilen

Der Social-Blogging-Dienst Tumblr behauptet, dass er 134,8 Millionen Blogs beheimatet, auf denen täglich im Schnitt 88,3 Millionen Postings veröffentlicht werden. Diesen Zahlen zufolge größer als die populäre Blog-Plattform WordPress (knapp 70 Mio. Blogs, 38 Mio. Updates pro Monat) und besonders beliebt bei US-Teenies, hat sich Yahoo im Mai 2013 Tumblr um 1,1 Mrd. Dollar gekauft. Doch es ist nicht alles eitel Sonnenschein auf David Karps Webseite: Denn neben Querelen mit Porno-Inhalten kämpft Tumblr hinter den Kulissen mit einem massiven Problem: Fake-Profile. Bis zu 90 Prozent der Blogs könnten inaktiv sein, und mit Hilfe des neue Eigentümers Yahoo werden diese gefälschten Accounts still und heimlich nach und nach gelöscht, wie ich in Erfahrung gebracht habe.

Fragwürdiges Wachstum
Seit im Juni 2012 mein Blog Digital Sirocco im Spotlight-Bereich von Tumblr als besonders lesenswerter Blog empfohlen wird, darf ich mich fast täglich über elektronische Post von Tumblr freuen. “Du hast 58 neue Follower” (24.09.2012),  “Du hast 219 neue Follower” (31.03.2013), “Du hast 711 neue Follower” (12.09.2012): Fast jeden Tag informierte mich der Blog-Dienst per automatischen E-Mail, dass ich von anderen Tumblr-Nutzern abonniert worden war (meistens waren es so 170 neue Follower/Tag). Anfangs freute ich mich darüber immerhin fühlt man sich ja geschmeichelt, wenn man gelesen wird. Doch als ich dann Anfang Mai 2013 die 50.000-Follower-Grenze und dann nur zwei Monate später, Anfang Juli 2013 die 70.000-Follower-Grenze überschritten hatte, wurde mir die Sache unheimlich.

Ich meine, klar freut man sich über solche Zahlen, aber für einen deutschsprachigen Blog mit Special-Interest-Themen (Social Media, Netzpolitik) sind solche Follower-Zahlen auf einer verhältnismäßig (für mitteleuropäische Verhältnisse) neuen Plattform etwas unrealistisch. Aus Google Analytics weiß ich, dass Tumblr eine wichtige Traffic-Quelle für meinen Blog ist (etwas kleiner als Facebook, aber oft wichtiger als Google oder Twitter), aber 70.000 echte Follower müssten sich bei den Zugriffen deutlicher bemerkbar machen.

Willkommen in der Geisterstadt
Deswegen wollte ich herausfinden, wer nun diese Follower sind, die mir da täglich via E-Mail bekannt gegeben werden. Aus diesen E-Mails habe ich eine zufällige Stichprobe von 100 Tumblr-Blogs gezogen (volle Liste hier) und jede Seite einzeln nach besten Gewissen bewertet. Ich habe sie in “echt” (ein Seite, die einen eindeutigen Autor hat, der zumindest ab und zu einen Eintrag macht), “wahrscheinlich echt” (meist halbherzig befüllte Blogs, die zumindest so aussehen, als wären sie von Menschenhand befüllt worden) und “fake” (leere Blogs, die die vorgegebenen Avatar-Profilbildchen und Standard-Layouts verwenden und nie einen einzigen Post gemacht haben) eingestuft. Diese Fake-Blogs sehen zumeist so aus:
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http://south147.tumblr.com


http://suselstef.tumblr.com

http://jackb3301.tumblr.com

Ab und zu sind Tumblr-Seiten dabei, die nach keiner erkennbaren Logik (von einem Bot?) mit Content befüllt wurden, etwa
http://inespitt.tumblr.com: Hier gibt es ein Bild von einem Einhorn, ein animiertes GIF und dann nochmal das Einhornbild zu sehen. Außerdem gibt es vereinzelte Blogs, die schon wieder gelöscht worden waren.

Keine offiziellen Nutzerzahlen – warum nur?
Das Ergebnis meiner Stichprobe (die keineswegs repräsentativ für meine derzeit 72.000 Follower noch für ganz Tumblr ist): Nur 12 Prozent der analysierten Blogs wirken echt. Der große Rest (88 Prozent) der 100 Blogs sind leere Seiten, die ohne ersichtliches Zutun eines Menschen erstellt wurden – eine virtuelle Geisterstadt, möglicherweise angelegt von einem automatischen Script, das die im “Spotlight” gelisteten Blogs abgreift und ihnen folgt, um Aktivität zu zeigen (und manchmal wahllos Bilder postet). Sollten all diese Blogs zu den fast 135 Mio. Blogs zählen, die Tumblr offiziell angibt, dann ist das ein großes Problem. Tumblr-Chef David Karp muss davon wissen – ansonsten würde er sich trauen, offizielle Zahlen zu Publikum und zu Seitenabrufen des Web-Dienstes anzugeben.

Blogs werden heimlich gelöscht
Dass Tumblr ein Problem mit inaktiven bzw. gefälschten Blogs hat, zeigt sich auch daran, dass wenige Wochen nach der Übernahme durch Yahoo die E-Mail-Notifications bezüglich “Du hast hunderte neue Follower” aufhörten und wieder über vernünftige neue Follower-Zahlen (5 bis 10 pro Tag) verkündeten. Parallel dazu sind die Follower-Zahlen meines Blogs trotz neuer Follower am Sinken – täglich kommen einige Dutzend weg. Derzeit halte ich bei knapp über 72.000 Followern, war aber schon mal bei fast 74.000. Trotzdem will Tumblr mir weismachen, dass die Zahlen nach wie vor wachsen, und zeigt mir im Analyse-Teil folgende Grafik an, die so nicht stimmen kann:



Ich vermute, dass Yahoo-Chefin Marissa Mayer genau um die Fake-Blogs weiß und Tumblr jetzt mit dem Know-how des neuen Eigentümers still und heimlich die Fake-Blogs löscht – nicht alle auf einmal, sondern nach und nach, so dass es niemanden ins Auge sticht. Ein mir bekannter Tumblr-Nutzer, der mit seinem Blog ebenfalls im Spotlight gelistet ist und bei mehr als 35.000 Followern hält, hat mir meine Beobachtungen bestätigt und ebenfalls den Eindruck, das nur ein Zehntel seiner Follower echte Menschen sind.

Anmerkung: Ich habe die Tumblr-Pressestelle vor mehreren Wochen bereits in der Causa kontaktiert und um Stellungnahme bzw. Aufklärung bezüglich der Vielzahl an falschen bzw. inaktiven Accounts gebeten – bis dato ohne Rückmeldung.

Terms And Conditions May Apply: Tolle Dokumentation über Datenschutz

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Google, Facebook und Apple wurden schon welche gewidmet, jetzt ist die andere Seite dran: Mit der Dokumentation “Terms And Conditions May Apply” hat der Filmemacher Cullen Hoback einen längst überfälligen Streifen zum Thema Privatsphäre im Internet gedreht. Im Kern geht es um die Nutzungsbedingungen, denen wir als Nutzer von Google, Facebook, Amazon oder eBay zustimmen müssen – und deren Kleingedrucktes beängstigende Folgen für die Nutzung unserer Daten durch Wirtschaft und Politik bedeuten.

Mark Zuckerberg stalken
“Can you please not record”, bittet Facebook-Chef Mark Zuckerberg das Film-Team von Hoback, das ihm vor seiner Villa in Palo Alto, Kalifornien, aufgelauert hat. Nach knapp 80 Minuten macht Hoback das, was die Internet-Firmen mit ihren Milliarden Nutzern machen: Er stalkt Zuckerberg, um vorzuführen, dass selbst der oberste Apologet der “Privacy is dead”-Lehre auf seinem Spaziergang in der Nachbarschaft vielleicht doch gerne ein wenig Privatsphäre hätte.

Diese verwackelte, weil mit versteckter Kamera gefilmte Szene steht konträr zu den vielen Beispielen steht, die “Terms Ans Conditions May Apply” bringt, in denen Unschuldige auf Basis der Auswertung ihrer Daten Schaden genommen haben. Etwa der Ire Leigh Van Bryan, dem die Einreise in die USA wegen eines Twitter-Witzes verweigert wurde. Oder die Teilnehmer eines Zombie-Flashmobs, die sich im Internet verabredeten und noch vor der Aktion verhaftet wurden. Oder ein US-Amerikaner, der wegen eines sarkastischen Facebook-Updates Besuch von der Polizei bekam.

Terms and Conditions May Apply Preview from Hyrax Films Private.

Bekannte Gesichter
“Alles, was digitalisiert wurde, ist nicht privat. Und das ist erschreckend”, sagt Starmusiker Moby in dem Film. Neben Moby hat Hoback noch eine ganze Reihe anderer Sprecher, die viel von dem Themenkomplex “Nutzerdaten” verstehen, vor die Kamera geholt. US-Buchautor Eli Pariser etwa, der das Buch “The Filter Bubble” veröffentlicht hat, den Wiener Facebook-Gegner Max Schrems, oder Barrett Brown, den “Unifficial Head of Anonymous”. Andere Interview-Partner wie Google-Vorstandsvorsitzender Eric Schmidt, FBI- oder CIA-Vertreter hat Hoback zwar nicht bekommen, behilft sich dabei aber geschickt Archivaufnahmen, die die Vertreter von Internet-Wirtschaft, Politik und Staatsapparat beim Stammeln, Um-den-heißen-Brei-Reden und Lügen erwischen.

Kostenlos für schulische Zwecke
Insgesamt ist es “Terms And Conditions May Apply” gelungen, ein sperriges Thema lebendig in eine nie langweilige Dokumentation zu gießen. Auch Zuschauer, die sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzen, werden dem Streifen etwas abgewinnen können, weil er gut zusammenfasst, was bisher geschah. Dass der Film vor den NSA-Enthüllungen gedreht wurde und er nur zwischen den Zeilen eine unbekannte Datenkrake in der Mitte andeutet, schadet ihm überraschenderweise nicht, sondern liefert quasi die Vorgeschichte zur Post-Snowden-Ära.

Derzeit sind Screenings nur in den USA geplant, aber
auf dieser Webseite kann man eine Anfrage stellen. Und: Für schulische Zwecke wird “Terms And Conditions May Apply” kostenlos zur Verfügung gestellt – jetzt sind die Lehrer gefragt, den wichtigen Film ihren Schützlingen zu zeigen.

Anmerkung: In Wien haben die Digital-Agentur Super-Fi, das Datenschutz-Start-up Stack.fm mit Unterstützung der Kleinparteien NEOS, Grüne und die Piratenpartei zum Screening geladen. Danke für die Einladung!

Smartphones: Software ist Apple und Google künftig wichtiger als Hardware

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“Good-enough-smartphone” nennen einige Beobachter bereits einen Trend am Mobile-Markt, der nicht länger zu ignorieren ist: Herstellern, Apple und Google allen voran, geht es nicht mehr darum, das technisch beste Gerät am Markt zu haben, sondern die Massen mit Smartphones zu versorgen, die solide Spezifikationen zu moderaten Preisen bieten. Die Hardware rückt in den Hintergrund, und Software und der Vertrieb von digitalem Content (Apps, Musik, Filme, Games etc.) werden immer wichtiger.

Moto X: Googles neue Mittelklasse
Sprachsteuerung, Foto-Funktion, smarte Benachrichtigungen: Die Produkt-Webseite des neuen Moto X der Google-Tochter Motorola preist das Smartphone nicht mit technischen Spezifikationen an, sondern mit Features. Es erkennt deine Sprache und wartet auf Befehle! Schüttle es für schnelle Schnappschüsse!! Bestimme selbst, welche Farbe es hat!!! Bildschirmauflösung? Prozessorleistung?? Megapixel??? Um das zu erfahren, muss man weit nach unten scrollen und in den “Details” nachlesen.

Mit dem Moto X hat Google still und heimlich eine neue Smartphone-Ära eingeläutet. Es geht nicht mehr um die besten Specs, sondern um praktische Features, Funktionen und Farben. “Das Moto X ist weit davon entfernt, die neueste und beste Technologie zu präsentieren, seine primären Features drehen sich um Nutzerfreundlichkeit und und Personalisierung”, schreibt der kanadische Journalist Navneet Alang. Ihm zufolge seien die Zeiten, in denen sich die Hersteller mit immer höheren Display-Auflösungen, immer schnelleren Prozessoren und immer dünneren Gehäusen gegenseitig zu übertrumpfen versuchen, vorbei. “Selbst Mittelklasse-Smartphones bieten oft schon mehr Funktionen als die meisten Konsumenten brauchen”, so Alang.

Und so geht es Google und seiner Tochterfirma nicht darum, sich mit LG, Samsung und HTC um das leistungsfähigste Smartphone zu matchen, sondern mit Nützlichkeit zu punkten. Die Hardware-Spezifikationen rücken in den Hintergrund, denn mal ehrlich: Wer braucht schon 15-Megapixel-Kameras für Instagram-Schnappschüsse, wer benötigt unbedingt Quadcore-Chips, um “Pflanzen gegen Zombies” zu spielen, und wer braucht mehr Pixel am Full-HD-Display, als man mit dem freien Auge erkennen kann? Stattdessen muss schlaue Software einfache, schnelle und hilfreiche Funktionen bieten, um schnell auf Informationen zugreifen, Entertainment-Angebote zu finden und Kommunikation abwickeln zu können. Laut Marktforscher ABI Research werden Mittelklasse-Smartphones (= Geräte um 250 bis 400 Dollar) 2018 fast die Hälfte des gesamten Marktes ausmachen.

iPhone 5C: Apples neue Mittelklasse
Bei Googles Erzrivalen Apple geht es in eine ähnliche Richtung. Beim iPhone 5C (das “C” steht für “Color”), das voraussichtlich am 10. September präsentiert wird, geht es nicht um spektakuläre Hardware, sondern um ein buntes, freundliches Gerät zu erschwinglichen Preisen für die Masse – und natürlich um ein Gerät, auf dem das neue Betriebssystem iOS 7 läuft, in das mit “iTunes Radio” ein eigener Musik-Streaming-Dienst eingebaut ist. Auch bei Googles Android geht es in eine ähnliche Richtung: Das Betriebssystem dient dem Internet-Konzern als Plattform, um Content und Services an die Massen zu tragen – etwa Games (Play Play Game Services), Musik („Google Play Music All Access“) oder den persönlichen Assistenten Google Now.

Auch bei Apple floriert das Content-Geschäft und wird dem iPhone-Hersteller 2013 etwa 16 Mrd. US-Dollar einbringen, wie der Apple-Analyst Apple-Analyst Horace Dediu schätzt. Wie auch Amazon sehen Google und Apple ihre Hardware immer mehr als Fenster zu ihren Cloud-Diensten, die in Gestalt von digitaler Musik, Filmen, Spielen oder Büchern Geld aus den Taschen der Konsumenten locken sollen.

Smartphones als digitale Content-Shops
Damit verwandeln sich die IT-Konzerne immer mehr in virtuelle Warenhäuser, in denen die Kundschaft alles vom MP3 bis zur Zeitung in digitaler Form konsumieren sollen und langfristig mehr Geld ausgeben, als hätten sie bloß ein teures Smartphone gekauft. “Weil sich die Smartphone-Penetration von Early Adopters zum Massenmarkt bewegt hat, ist das Smartphone als Produkt weniger abhängig von technischer Überlegenheit und mehr abhängig von Zuverlässigkeit und Wert”, sagt Jeff Orr vom Marktforscher
ABI Research. “Das Low-Cost-Smartphone wird zum Werkzeug für die Betreiber, höhere Einnahmen mit Daten machen zu können.”

Buffer App: Praktische Kommandozentrale für koordinierte Social-Media-Aktivitäten

Blogger, Online-Journalisten, Social-Media-Manager, Agenturleute und alle anderen, die gerne und häufig ihre Social-Media-Profile mit Content befüllen, wissen: Es ist mühsame Arbeit, Bilder, Links und Texte auf Facebook, Twitter und Co. zu verteilen. Abhilfe versprechen dafür verschiedenste Online-Tools, mit denen von zentraler Stelle aus die Social-Media-Kommunikation gemacht werden kann. Ein besonders interessanter Dienst dafür ist Buffer App, mit dem man neuerdings sogar Google+-Seiten bespielen kann.

Mitgründer aus Österreich
Erst 2010 gegründet, hat das Austro-britische Start-up mit Firmensitz in San Francisco schon für einiges Aufsehen gesorgt. Via Techcrunch richteten die Gründer Leo Widrich aus Wien und Joel Gascoigne aus Sheffield aus, dass man mittlerweile mehr als 850.000 Nutzer hätte und im Jahr 1,5 Mio. US-Dollar Umsatz mache. Das simple, ansprechende Design und die Funktionalität des Dienstes hat es Nutzern offensichtlich angetan.

Über die Webseite, die iPhone-App bzw. Android-App oder Browser-Plugins (für Chrome, Safari, Opera und Firefox) kann man ein Posting in verknüpften Accounts bei Facebook (sowohl private Profile als auch Unternehmens-Seiten), Twitter, App.net, LinkedIn (Profile oder Gruppen) und seit dieser Woche auch Google+-Seiten veröffentlichen. Um die Google+-Anbindung freizuschalten, müssen Buffer-App-Nutzer auf diesen Link klicken. Perfekt ist die Google+-Integration aber noch nicht: Im Test postete Buffer App das falsche Vorschaubild auf Google+.

In der Praxis
Das Posten mit Buffer App hat Vor- und Nachteile. So kann man wie beschrieben ein Posting (auch Fotos sind möglich) gleichzeitig auf Twitter, Facebook, LinkedIn, App.net und/oder Google+ veröffentlichen und dabei auch den Zeitpunkt bestimmen. Buffer App errechnet auf Basis des eigenen Aufenthaltsortes zwar die optimalen Zeiten zur Veröffentlichung automatisch (in der Regel zwischen 9 Uhr morgens und 18 Uhr abends), doch man kann die Zeiten auch selbst festlegen.

Wichtig ist beim Veröffentlichen auf mehreren Kanälen gleichzeitig, die Regeln der unterschiedlichen Plattformen zu berücksichtigen. Ist Twitter dabei, muss man unbedingt die 140-Zeichen-Beschränkung beachten, außerdem muss man dann auf die @-Mentions verzichten – denn alle anderen Plattformen verstehen diese nicht. Besser ist beim Multi-Channel-Posten deswegen, auf die mittlerweile weit verbreiteten Hashtags zu setzen.

Eingebaute Analyse mit Mängeln
Interessant an Buffer App ist auch, dass der Web-Dienst eine Analyse-Funktion integriert hat und für den Nutzer festhält, wie oft die Beiträge mit Retweets, Shares, Likes, +1 und Kommentaren bedacht wurden. Außerdem kann die Software auch berechnen, wie oft die geteilten Links angeklickt wurden. Auf Basis dieser Zahlen kann man grob einschätzen, welche Uhrzeiten für die eigenen Postings am besten funktionieren und auch ablesen, welcher Posting-Stil am besten bei den Empfängern (Facebook-Fans, Twitter-Follower) amkommt. Reibungslos funktioniert die Analyse-Funktion aber nicht und zeigt des öfteren falsche Zahlen an.

Premium für Firmen und Agenturen
Buffer App ist prinzipiell kostenlos verwendbar und finanziert sich nach dem Freemium-Modell. Wem ein Facebook-Account, ein Twitter-Account, ein LinkedIn-Account, ein App.net-Account und eine Google+-Seite zum Bespielen reichen, dem reicht die Gratis-Version.

Für größere Online-Medien oder Agenturen gibt es kostenpflichtige Pakete, die je nach Anzahl der verknüpften Social-Media-Profile (25 bis 250) zwischen 50 und 250 Dollar pro Monat kosten. Dass Buffer App im Silicon Valley angekommen ist, merkt man am Öko-System, das sich rund um den Dienst entwickelt. So ist der Service an viele andere Web-Dienste wie Instapaper, Reeder, IFTTT oder WordPress angebunden. Mittlerweile gibt es sogar einen Buffer-Button, den sich Webseiten ähnlich wie den Like-Button von Facebook einbauen können.

Online-Persiflagen: Wahlkämpfende Politiker ernten auf Tumblr Spott und Hohn

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Das Wahlkampfjahr 2013 ist in Deutschland (Bundestagswahl) als auch Österreich (Nationalratswahl) in vollem Gange. Seit US-Präsident Barack Obama zwei Wahlen auch mit Hilfe digitaler Mittel für sich entschieden hat, liegt großes Augenmerk auf dem Internet, wo vorrangig Facebook, Twitter und YouTube zur Verbreitung von politischen Botschaften und als Diskussions-Plattformen genutzt werden. Doch online müssen sich Politiker auch der Kritik von unten stellen – etwa, wenn sie mittels Internet-Memes auf der Social-Blogging-Plattform Tumblr verspottet werden und Blogs zum Ventil der Politikverdrossenen werden.

Deutsche Politiker im Visier
“Ein Ministerpräsident, der die Luft anhält. Genau! Ude” kann man auf dem Tumblr-Blog “
Ude holding things” lesen und sich über die Foto-Montage amüsieren, die den SPD-Politiker mit rotem Kopf und aufgeblähten Backen zeigt. “11.000 Mitarbeiterinnen erfolgreich in die Arbeitslosigkeit geführt. Gut gemacht, FDP!”, steht auf dem Tumblr-Persiflage “Gut gemacht FDP” unter einem Bild, das demonstrierende Schlecker-Mitarbeiterinnen zeigt.

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“Aus meiner Sicht ist die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung beendet”, legt der Tumblr-Satire “Pofalla beendet Dinge” dem Kanzleramtsminister Ronald Pofalla in den Mund. Und auch in Österreich bekommt bereits eine Partei ihr Fett auf Tumblr weg: Die konservative ÖVP wird auf dem Tumblr-Blog “When you really act like ÖVP” mit einer Reihe Videos, animierten GIFs und YouTube-Videos verspottet.

Tumblr als Satire-Kanal
Man sieht: Social Media im Allgemeinen und Tumblr – im Mai von Yahoo um 1,1 Mrd. Dollar aufgekauft – im Speziellen bergen für Parteien und ihre Politiker eine nicht zu unterschätzende Gefahr: Sie können politischen Gegnern und Kritikern als simpel zu bedienende Plattformen dienen, um Gegenmeinungen zu verlautbaren. Ein Tumblr-Blog ist in wenigen Minuten und kostenlos eingerichtet und bietet dann die einfach Möglichkeit, ihn mit Content zu füllen.

Besonders beliebt sind Sammlungen von Bildern, Videos und animinerten GIFs zu einem bestimmten Thema, gerne werden auch Internet-Meme aufgegriffen und inhaltlich abgewandelt. Nordkoreas Staatschef
Kim Jong Un, Russlands Präsident Wladimir Putin oder Ex-US-Außenministerin Hillary Clinton wurden schon mit spöttischen Tumblr-Seiten gewürdigt, und 2013 sind auch deutschsprachige Politiker ins Visier der Macher geraten, die übrigens nicht anderen Parteien zuzuordnen sind.

Ventil für Politikverdrossene
“Mich regt das Verhalten unserer Bundesregierung tierisch auf”, sagt Manuel Folkerts, der den Tumblr-Blog
Pofalla beendet Dinge” aus Protest gegen die NSA-Überwachung gestartet hat. “Es kann nicht sein, dass 80 Millionen Deutsche Opfer von Spähaktionen werden, unsere Kanzlerin von Neuland spricht und der Kanzleramtsminister versucht, das Thema zu vertuschen. Die Öffentlichkeit darf diesen Skandal nicht in Vergessenheit geraten lassen. Und witzige Aktionen wie meine tragen hoffentlich dazu bei.”  Der Düsseldorfer Web-Designer durfte sich innerhalb kürzester Zeit über mehr als 43.000 Zugriffe freuen.

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Warum die Wahl gerade auf Tumblr fiel? “Ich finde, Tumblr bietet die einfachste Möglichkeit, ohne großen Aufwand Inhalte übersichtlich und chronologisch darzustellen. Vorgängeraktionen wie “udeholdingthings” oder “gutgemachtfdp” haben gezeigt, dass Tumblr die beste Platform hierfür ist. Die Kommunikation und Verbreitung lief allerdings hauptsächlich über Twitter und Facebook ab.”

Phänomen schwappt nach Österreich
In Österreich haben währenddessen anonym bleibende Tumblr-Nutzerinnen mit “
When you really act like ÖVP” die Regierungspartei ÖVP aufs Korn genommen. “Wir sind zwei Studentinnen, die nicht gut genug zeichnen können, um Karikaturen anzufertigen also machen wir das hier, um die ÖVP ein bisschen zu ärgern”, so die Betreiberinnen.

“Wir machen diesen Spaß in unserer Freizeit. Initialzündung war die Refugee-Sache (Proteste gegen Abschiebung von Flüchtlingen, Anm.) und alles darum herum. Die Posts entspringen spontanen Geistesblitzen und sind nicht von langer Hand geplant.” Auf die Idee kamen die zwei übrigens durch die Tumblr-Blogs “
When you really live in Wien” und “When you really study in Vienna”.

Noch nicht massentauglich
Auch wenn die Tumblr-Seiten große mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen (“
Ude holding things” wird gar von der Redaktion des Süddeutsche-Magazins Jetzt.de betrieben), ist die Breitenwirkung der Online-Persiflagen mehr als fraglich. “Wir sehen das Ganze als das, was es ist: einen Tumblr-Blog, der satirisch auf etwas aufmerksam machen kann. Wie jede Satire kann es aber politischen Aktivismus nicht ersetzen”, so die Wiener Studentinnen von “When you really act like ÖVP”.

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Auch der deutsche Folkert meint: “Meine Schwester ist ein gutes Beispiel für den normalen Internetnutzer. Sie hat einen Facebook-Account, schreibt E-Mails und liest Nachrichten – hat aber von #Pofallabeendetdinge nichts mitbekommen. So ist es wohl bei den meisten Deutschen, leider.” Nichtsdestotrotz: “Erfreulicherweise habe ich sehr viele Besucher aus Netzwerken des Bundestages, von Bundesministerien und sogar aus dem Kanzleramt.”

Wahlentscheidend sind ist der Tumblr-Spott damit sicher nicht, aber: “Wer ungeschickt damit umgeht und nicht vorbereitet ist, kann davon abgelenkt werden, und im Wahlkampf ist nichts schlimmer, als von seiner Botschaft abgelenkt zu werden”, sagt der österreichische Buchautor Yussi Pick, der sich in “Das Echo-Prinzip” mit politischer Online-Kommunikation auseinandersetzt. “Wer das Internet in seiner Kommunikation nicht einplant, hat einen blinden Fleck und macht es sich selbst schwierig.”

Phänomen „Phubbing“: Wenn man das Smartphone dem Gegenüber vorzieht

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Phubbing – eine neue Wortkreation für ein neues Problem. Das Kunstwort aus “phone” und “snubbing” (engl. für “gleichgültig abweisen”) beschreibt ein mittlerweile alltägliches Phänomen, das jeder kennt. Beim Plaudern mit Freunden, Familienmitgliedern, Bekannten oder Geschäftspartnern greift einer plötzlich zum Smartphone, um E-Mails zu checken, mal kurz bei Facebook reinzuschauen oder eine SMS zu lesen – und ignoriert das Gespräch mit dem Gegenüber. Eine Online-Kampagne eines australischen Studenten nutzt das “Phubbing”-Phänomen geschickt aus, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.

“Phubbing: snubbing someone in favour of your mobile phone. We’ve all done it: when a conversation gets boring, the urge to check out an interesting person’s twitter/ Facebook/ Youtube/ Pinterest/whatever feed can be overwhelming.” Urban Dictionary

Wenn ein Begriff in dem englischen Online-Wörterbuch für Slangausdrücke landet, dann kann man davon ausgehen, dass man bald in vielen Medien und vielleicht auch im Duden davon lesen kann. So geschehen im Falle von “Phubbing”: Dem Kunstwort wurde dieser Tage viel Aufmerksamkeit, immerhin beschreibt es ein Symptom der “Always on”-Gesellschaft, die am mobilen Internet wie am Tropf hängt. In freier Wildbahn beobachtet hat das Phubbing wahrscheinlich schon jeder. Junge Männer in Cafés starren auf ihre mobilen Bildschirme, während ihre Freundinnen unaufhörlich auf sie einreden. Kollegen spielen am Display herum, während der Chef seine einstündige Präsentation herunterbetet. Schwiegersöhne konzentrieren sich beim Familienessen lieber auf ihren Touchscreen als auf die Polit-Analysen von Schwiegervater.

Parallelwelt in Griffweite
Ob Langeweile, Desinteresse oder einfach nur pure Ignoranz: Viele Smartphone-Nutzer nehmen mittlerweile in Kauf, sich im direkten Gespräch unsozial zu verhalten und in die digitale Parallelwelt am Display abzudriften. Ganz unverständlich ist das Phänomen natürlich nicht: Während der Alltag langweilen kann, gibt es via Smartphone ziemlich viel Spannung auf die Handfläche geliefert. SMS, E-Mails, Facebook, Twitter, Instagram und Dutzende andere Web-Dienste locken mit immer neuem Content zum Vorbeischauen. Eine Studie der österreichischen Internet-Firma Jumio etwa besagt, dass 72 Prozent der US-Amerikaner ihr Smartphone den Großteil der Zeit maximal 1,5 Meter von sich entfernt aufbewahren. Außerdem checken laut Untersuchung 35 Prozent der US-Bürger ihr Smartphone im Kino, 33 Prozent während eines Dinner-Dates, 19 Prozent in der Kirche, 12 Prozent unter der Dusche, und 9 Prozent sogar während dem Sex. Da wundert es kaum, dass auch bei Meetings und Kaffeehaustreffen Mobiltelefone nicht aus der Hand gegeben werden.
image„Diese Zahlen zeigen deutlich, dass die Verbundenheit zum mobilen Rechner mittlerweile eine Intensität erreicht, hat die man vor ein paar Jahren noch nicht für möglich gehalten hätte”, sagt Karin Hammer, Inhaberin der Digital-Agentur
Freie Digitale, die mich auf das Phänomen aufmerksam gemacht hat. “Aus der werblichen Sicht ist das eine eindeutige Aufforderung, ganz besonders im mobilen Bereich mit Inhalten und sinnvollen Features statt mit Banner und platten Sprüchen zu werben.“

Online-Pranger für Phubber
Das Phubbing-Phänomen hat jetzt einen australischen Studenten dazu veranlasst, eine Online-Kampagne gegen die Praxis zu starten. http://stopphubbing.com von Alex Heigh warnt vor dem “gesellschaftlichen Sittenverfall” (© Süddeutsche.de), allerdings auf eher humoristische Art und Weise. So behauptet die Kampagnen-Seite augenzwinkernd, dass Phubbing, wenn es eine Plage wäre, China sechs Mal dahinraffen würde. Außerdem kann man gemeine Phubber in einer “Hall Of Shame” per Foto-Upload öffentlich an den Pranger stellen oder ihnen eine vorgefertigte E-Mail schicken, die auf den zwischenmenschlichen Fauxpas hinweisen. Es gibt sogar Plakate mit Botschaften wie “No Tweeting. No Facebook. No Instagram”, die Restaurants aufhängen sollen, um der Unsitte Einhalt zu gebieten.

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Eher mager sieht es mit der Beteiligung beim Online-Voting  der Kampagne aus – etwa 10.000 Stimmen wurden abgegeben, die große Mehrheit spricht sich natürlich gegen das Phubbing aus. Auch die zugehörige Facebook-Seite ist mit etwa 9000 Likes noch kein Knaller, kann dafür immerhin extrem hohe Interaktionsraten aufweisen. “Die Kampagne ist für mich ein Plädoyer zurück zur Kommunikation ohne technische Hilfmittel”, sagt Marketing-Expertin Hammer. “Wir haben uns alle daran gewöhnt, über Facebook oder andere Tools ständig in Kontakt zu sein und dabei vergessen, dass all diese Dinge niemals (und auch hoffentlich in Zukunft nicht) die Qualität eines direkten Gesprächs erreichen können. Dramatisch formuliert ist das vielleicht der letzte Unterschied zwischen „Freunden“ und „wahren Freunden“.”

Umsturz in Ägypten: Das Geheimnis der „Revolution der grünen Laser“

Die Massenaufstände gegen das Mubarak-Regime in Ägypten 2011 wurden von Medien gerne als Facebook-Revolution bezeichnet, weil sich Demonstranten am Tahrir-Platz und anderswo auch über das Online-Netzwerk organisierten. Beim Sturz des Präsidenten Mursi im Sommer 2013 war aber keine Rede mehr von Facebook. Stattdessen schrieben Medien von der “Green-Laser-Revolution”, weil unzählige Demonstranten per Laser-Pointer grüne Lichtstrahlen durch die Luft schossen und damit die Bilder von den Protesten prägten, die um die Welt gingen. Ein Blick hinter das Phänomen der grünen Laser.

Laser-Strahlen zucken durch die Nacht

Es sind Bilder wie aus einem dystopischen Morgen, die man während der der Anti-Mursi-Proteste aus Ägypten zu sehen bekam. Millionen zorniger Menschen auf der Straße, erhobene Fäuste, Rauchwolken, Feuer, wehende Fahnen, und durch das Szenario zucken grüne Laser-Blitze. So hätten sich Science-Fiction-Autoren das 20. Jahrhunderts Revolutionen in einer fernen Hightech-Maschinen-Zukunft ausmalen können, nur um sie wenige Jahre bzw. Jahrzehnte später in der Realität sehen zu bekommen. Das spektakulärste Bild der grünen Laser ist jenes, als tausende Demonstranten ihre Lichstrahlen auf einen Militärhubschrauber über ihnen richten und ihn in gespenstisches grünes Licht tauchen.

Apache helicopter over Egypt’s protests indicated with green laser beams from the crowd. #Egypt #Revolution #مصر pic.twitter.com/gFSuQFhTil

Wie die BBC schreibt, sei das von vielen Medien fälschlicherweise als Versuch gedeutet worden, die Piloten zu irritieren (in den USA ist es sogar per Gesetz verboten, einen Laser auf ein Flugzeug zu richten). Dabei sei es vielmehr eine Licht-Show für das Militär gewesen, dem damit für seine Rolle beim Sturz von Mursi gedankt werden sollte.

Gegen Mursi, Scharfschützen und Polizisten
Die Laser-Beams wurden aber auch gegen Mursi eingesetzt, wenn die Demonstranten ihn auf Bildern quasi als Quelle allen Übels mit den grünen Lichtpunkten markierten oder seinen Namen mit grünen Lichtstrahlen durchstrichen. Außerdem sollen die Laser auch dazu eingesetzt worden sein, um Scharfschützen auf Hausdächern zu markieren und so andere vor deren Standorten zu warnen, oder
um Polizisten zu irritieren, die Tränengas verschossen.

Dass die grünen Laser plötzlich so rasende Verbreitung bei den ägyptischen Protesten gefunden haben, hat eigentlich triviale Gründe. Dem ägyptischen Blogger Tarek Amr, den ich schon für mein Buch “Digitaler Frühling” interviewt habe, werden die Laserpointer bereits seit zehn Jahren genutzt – von Lehrern, aber vor allem von jungen Ägyptern zum Spielen. “Diese Laser-Stifte erlauben es, auf entfernte Objekte zu zeigen und schnell wieder abzudrehen, wenn man Angst hat, ertappt zu werden. Es ist also das perfekte Werkzeug, um die Aufmerksamkeit von Mädchen zu erregen oder sie zu ärgern”, so Amr, der für die Blog-Plattform Global Voices schreibt.

„Wie der Zauberstab von Harry Potter“
Kulturelle Gründe gebe es keine, warum gerade 2013 in Ägypten so viele Laser eingesetzt werden. Vielmehr gebe es demografische Ursachen für die Popularität der grünen Pointer. “Seit 2011 ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung jünger als 30 Jahre, das mittlere Alter beträgt 24 Jahre”, sagt Amr. “Somit gehört die Mehrheit der Bevölkerung zur Generation Y und Z, und Studien zeigen, dass diese Generationen digitale Technik mehr verwenden als jede andere.” Die kulturelle Identität der Jungen werde durch das Internet geprägt, parallel dazu gebe es nach wie vor große Armut. “Jetzt kannst du dir vorstellen, warum sie es so toll sie es finden, mit einem Laser-Stift einen Hubschrauber zu markieren. Wie Harry Potter, der mit seinem Zauberstab auf böse Bestien zeigt.”

Leisten kann sich die Laserpointer übrigens fast jeder – sie kosten weniger als einen Dollar und wurden überall auf dem Tahrir-Platz verkauft. Einige findige Händler nutzten übrigens Facebook, um potenzielle Kunden über ihren Standort zu informieren und ihre Ware anzupreisen. “30 % Sale for the Revolution. Offer ends in 48 hours ;)”, warb etwa der Betreiber der Facebook-Seite “Green Laser Pointers in Egypt” mit Augenzwinkern um Kundschaft.

Warum gerade grün?
Ist noch die Frage offen, warum gerade grüne Laser so populär waren – immerhin ist grün die Farbe des Islam. “Ich denke, dass hängt alles von den Händler auf der Straße ab”, sagt Amr. “Wenn sie rote statt grüne Laser verkaufen würden, dann würde man eben rote Laser überall sehen.” Dass die Händler am liebsten grüne Laser verkaufen, hat wohl technische Gründe. Gelbe, orange oder blaue Laser sind teurer, und die grüne Variante ist für das menschliche Auge besser erfassbar als die ebenfalls weit verbreiteten roten Laser.

Disconnect.me: Browser-Software blockt Facebook, Google und andere Tracker

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Facebook-Likes, Twitter-Buttons und Google +1-Knöpfe: Auch im deutschsprachigen Internet sind kaum mehr Webseiten zu finden, die auf die Share-Buttons der drei Internet-Firmen verzichten. Sie versprechen ihnen mehr Traffic, weil die Nutzer über die Knöpfe Online-Inhalte weiterverbreiten können. Die Online-Ausgabe des britische Guardian etwa, der 2013 mit den Edward-Snowden-Leaks für Aufsehen sorgte, bekommt bereits zehn Prozent seines Traffics via Social Media, insbesondere Twitter.

Ex-Googler entwirft Blocker
Doch nicht alle Internetnutzer sind mit den vielen Social-Plugins der Internet-Konzerne glücklich – und schon gar nicht damit, dass in Webseiten oft Dutzende oder noch mehr andere Tracking-Tools eingebaut sind, die anders als die Social-Buttons gar nicht sichtbar sind. Der ehemalige Google-Ingenieur Brian Kennish, der an AdWords, AdSense, Wave und Chrome gearbeitet hat, und der auf “Privacy” spezialisierte Anwalt Casey Oppenheim haben deswegen ihr Browser-Plugin Disconnect (für Firefox, Safari, Chrome und Opera) auf den Markt gebracht, dass den Nutzer auf diese sichtbaren oder unsichtbaren Tracking-Tools hinweist und ihm hilft, sie abzudrehen. So könne man verhindern, dass Nutzungsdaten im Internet von undurchsichtigen Werbefirmen gesammelt, ausgewertet und weiterverkauft werden.

Das Browser-Plugin, dass man sich kostenlos bzw. gegen eine kleine Spende per PayPal, Kreditkarte oder Bitcoin installieren kann, ist ziemlich elegant gemacht. Ein kleines D-Symbol oben in der Browser-Leiste zeigt an, dass Disconnect aktiv ist. Wenn man eine Webseite lädt, wird auf einem kleine grünen Icon angezeigt, wie viele Analyse- und Tracking-Dienste in der Webseite versteckt sind. Auf www.nytimes.com etwa sind laut 12 solcher Dienste eingebaut, auf www.theguardian.com sind es 48, und auf www.techcrunch.com misst Disconnect gar 118 verschiedene Alanyse- Werbe- oder Content-Tools, die von verschiedensten Servern aus das Surf-Verhalten des Besuchers mitlesen wollen. Übrigens: Auf Wikipedia sind es 0.

Webseiten laden schneller
Weil für den durchschnittlichen Nutzer völlig undurchsichtig ist, welche Tracking-Tools da im Hintergrund Daten mitschneiden wollen, verhindert Disconnect automatisch den Zugriff. Das hat den Herstellern auch zur Folge, dass Webseiten im Schnitt 27 Prozent schneller laden und 17 Prozent weniger Bandbreite verbrauchen – im Optimalfall ist man mit dem Browser-Plugin also nicht nur ein wenig anonymer, sondern auch schneller im Netz unterwegs. Spannend ist auch, wie Disconnect selbst mit Nutzerdaten umgeht – nämlich weitgehend gar nicht. Die Datenschutzbestimmungen des Browser-Plugins lesen sich deswegen nicht wie die übliche “Wir wollen alle Rechte”-Lawine, die man sonst auf Webseiten findet, sondern eher wie ein Privatsphäre-Manifest.

Da breite Blockade von Tracking-Tools durch Disconnect aber nicht in allen Fällen sinnvoll ist, kann man auch nachjustieren. Denn wer den Like-Button von Facebook klicken will, Tweets von Artikel-Seiten abschicken oder auch mal auf den +1-Knopf von Google drücken will, der muss Disconnect sagen, dass man den Social Networks den Zugriff erlaubt. Dazu klickt man au das kleine D im Browser und dreht im Drop-Down-Fenster die jeweilige Blockade wieder ab – Facebook-Daumen und Twitter-Knopf poppen auf der Webseite wieder auf. Außerdem nützlich: Man kann Webseiten, denen man vertraut, auf die Whitelist setzen, damit diese fortan vollständig laden können. Ansonsten muss man sich ständig neu bei Facebook, Twitter oder Google einloggen.

Disconnect ist anfangs leider verwirrend, weil die Farbgebung nicht durchdacht ist: “Grün” bedeutet, dass geblockt wird, wer auf “Grau schaltet”, erlaubt den Zugriff. Spannend ist außerdem, einmal oft besuchte Webseiten nach versteckten Trackern zu durchleuchten – immer wieder zeigt sich, dass Analyse-Dienste wie Comscore, Quancast oder Nielsen in Seiten versteckt sind.

Kein Werbe-Blocker
Disconnect sollte man aber auf keinen Fall als ultimativen Schutz vor Tracking sehen. Das Browser-Plugin blockt zwar mehr als 2000 Drittanbieter, doch hat sicher nicht alle auf der Liste. Außerdem ist Disconnect kein Werbe-Blocker wie AdBlock oder AdbLock Edge: Nervige Online-Anzeigen scheinen immer noch auf Webseiten auf, werden aber aufgrund der unterbundenen Datensammelei nicht auf das eigene Surf-Verhalten abgestimmt. Spannend wird außerdem sein, ob es die Macher schaffen, ihre Lösung auch auf Smartphones und Tablets zu bringen, wo immer mehr gesurft wird. Aktuell gibt es eine iOS-App von Disconnect.me, die speziell auf die App-Nutzung von Kindern zugeschnitten ist.

Dieser Artikel ist auch bei Netzpiloten.de erschienen.

Selfies: Die gar nicht so narzisstischen Selbstporträts des Smartphone-Zeitalters

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Stars tun es, Millionen Teenager tun es, und die IT-Industrie will, dass wir es alle tun: Selfies. Die Selbstporträts, die mit den Front-Kameras von Smartphones und Tablets geschossen und über Apps im Internet veröffentlicht werden, zählen mittlerweile zu den wichtigsten Content-Arten im Social Web. Sie sind aber nicht nur Ausdruck einer selbstverliebten Internet-Generation, sondern zeugen auch von der Verunsicherung junger Menschen in einer schöngezeichneten Welt.

Eine nachdenkliche Rihanna, das Model Kelly Brook mit Duckface und Lockenwickler oder ein verwirrt dreinblickender Justin Bieber: Es sind Blicke hinter die Kulissen, die uns Smartphone-Selbstporträts auf der Foto-Plattform Instagram gewährt werden. Die Stars ungeschminkt und in Posen, die Paparazzi selten machen und noch seltener veröffentlichen. Anstatt Glamour und Skandal zu zeigen, sind die Instagram-Selfies der Stars eigentlich ziemlich langweilig – und vielleicht deswegen so beliebt bei den Fans.

Fast 100 Millionen Instagram-Selfies
Bei Millionen Smartphone-Nutzern sind die Selfies, wie die Selbstporträts per Front-Kamera genannt werden, ebenfalls sehr beliebt. Einer aktuellen Studie des renommierten Pew Research Center zufolge haben bereits 91 Prozent der US-amerikanischen Teenager mittlerweile Fotos, die sie selbst zeigen, im Internet veröffentlicht – das sind 12 Prozent mehr als 2006, als noch MySpace das wichtigste Social Network war. Ein besonders starker Treiber des Trends sind Smartphones und Apps, die die Ich-Schnappschüsse extrem vereinfachen. Eine Suchanfrage bei Statigram zeigt, das mit Facebooks Foto-App Instagram mittlerweile knapp 100 Millionen Bilder veröffentlicht wurden, die mit dem Hashtag #me getaggt wurden – nur #love und #instagood sind noch verbeiteter. Twitters Instagram-Rivale Vine hat kürzlich auf den Trend reagiert und unterstützt seit Juni ebenfalls die Smartphone-Cams an der Vorderseite.

Das mobile Social Network Just.me ist die jüngste App, die dezidierte Funktionen für Selfies eingeführt hat. “Selfies sind gerade in den vergangenen zwölf Monaten extrem populär geworden. Speziell bei Just.me-Nutzern hat die Nutzung gerade neue Höhen erreicht”, sagt Just.me-Gründer Keith Teare. Sogar Hollywood würde auf den Trend aufspringen, so Teare – ein Beispiel sei der neuen Sofia-Coppola-Streifen “The Bling Ring” Damit die anderen Nutzer die Selbstporträts einfach finden können, werden diese automatisch mit #selfie getaggt, neue Foto-Filter sollen es den Usern außerdem erlauben, die Fotos exakt so zu gestalten, wie sie von der Welt wahrgenommen werden möchten, so die Presseaussendung. Dass diese und andere Apps uns mit immer neuen Funktionen noch mehr Selbstporträts machen lassen ist gut für sie – immerhin nutzen sie die starken Tendenzen zu einer immer narzisstischeren Gesellschaft aus. Die negative Seite des Trends offenbart sich aber genauso schnell, wenn Foto auf Tumblr-Blogs wie AntiDuckface oder Pictures of Girls Making Duckfaces landen, wo man sich über die Schmollmünder junger Frauen lustig macht.

Frauen identifizieren sich stark über Aussehen
Der Verdacht, dass die Abermillionen Selfies der Output einer stark narzisstisch veranlagten Generation “Smartphone” sind. Selbstporträts sind oft schöngezeichnete Selbstdarstellungen (es gibt sogar Anleitungen, wie die Selfies besonders gut werden) mit dem Ziel, sich die Bewunderung der anderen zu angeln. Eine Studie der Universität in Buffalo im Jahr 2011 etwa zeigte, dass Frauen, die ihr Selbstwertgefühl auf ihrem Aussehen gründen, mehr Fotos von sich online stellen und Social Networks intensiver nutzen. “Die Vermutung liegt nahe, dass sich Frauen stärker über Image und Aussehen identifizieren und Facebook als Plattform nutzen, um um Aufmerksamkeit zu konkurrieren”, so Studienleiter Michael A. Stefanone. “Es ist enttäuschend für mich, dass im Jahr 2011 so viele junge Frauen ihren Selbstwert über ihre physische Erscheinung definieren.

Doch es gibt auch andere Meinungen. “Instagram bietet stillen Widerstand gegen die Flut an perfekten Bildern, mit der wir jeden Tag konfrontiert werden. Anstatt uns mit Photoshop-Kreationen in Zeitschriften, im TV oder auf Webseiten bombardieren zu lassen, die unsere Unzufriedenheit füttern, können wir durch unsere Instagram-Bilder echte Menschen in ihrer ganzen Vielfalt sehen”, schreibt etwa die Sozialpsychologin Sarah Gervais über den positiven Wahrnehmungseffekt von Selfies.

Das Selbstbild ist wichtig, und nicht immer auf narzisstische Weise. Denn es definiert auch, wie wir uns selbst sehen und uns anderen präsentieren. Wir sind auf die Urteile und Wahrnehmungen anderer angewiesen, um ein gesellschaftliches Selbst zu entwickeln”, so Mashable-Autorin Christine Erickson. Dass die Selfies nicht immer dazu da sind, um uns im besten Licht zu zeigen, ist etwa auf der Social-News-Seite Reddit zu sehen. Im Subreddit “amiugly” verfolgen 33.000 Nutzer, wie andere per Selbstporträt vor die anonyme Community treten und und öffentlich die mutige Frage stellen: “Bin ich hässlich?” Mit Eitelkeit, Selbstverliebtheit oder Egoismus hat das eher weniger zu tun.